EGV-SZ 1994

[Entscheide Nr. 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43] 

 

II. Zivil- und Strafgerichte

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Zivilrecht

– Rechtsnatur des Unterrichtsvertrages. Auflösbarkeit desselben.

Aus dem Sachverhalt:

Musiklehrer Z. klagte den Vater einer minderjährigen Musikschülerin ein. Er verlangte das Musikunterrichtshonorar für drei Monate und begründete seine Forderung mit der Bestimmung des Schulreglementes: «Die Abmeldung vom Unterricht kann nur auf Ende eines Quartals erfolgen. Diese muss schriftlich einen Monat vor Ablauf eines Quartals im Besitze des Lehrers sein. Bei nicht rechtzeitig erfolgter Abmeldung bleibt die Zahlungspflicht für das folgende Quartal bestehen.» Der Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dass bezüglich Auflösung des Vertrages die auftragsrechtlichen Bestimmungen gelten und der Vertrag deshalb jederzeit auflösbar gewesen sei.

Aus den Erwägungen:

Der Unterrichtsvertrag ist ein gemischter Vertrag in der Form des Kombinationsvertrags, der Elemente des Auftrags (persönlicher Unterricht), des Kaufs (Lehrmaterial), der Miete (von Räumen und Musikinstrumenten) und unter Umständen auch des Abzahlungskaufs enthält (vgl. Walter R. Schluep, SPR VII/2, Innominatverträge, S. 919).

Ob das in Art. 404 Abs. 1 OR geregelte Widerrufsrecht zwingendes oder dispositives Recht enthält, ist umstritten (… nähere Ausführungen). Der Einzelrichter hält mit einem Teil der Lehre dafür, dass jedenfalls bei «typischen» Auftragsverhältnissen die Vorschriften von Art. 404 Abs. 1 OR zwingendes Recht darstellen. Offen gelassen werden kann, ob bei atypischen Aufträgen eine andere Auflösungsordnung vereinbart werden kann. Typisch ist ein Auftragsverhältnis dann, wenn es unentgeltlich ist, oder, bei Entgeltlichkeit, wenn es höchstpersönlicher Natur ist. Für den Unterrichtsvertrag gilt, dass der Unterrichtsnehmer in fachlicher Hinsicht vom Unterrichtsgeber abhängig ist, und die persönlichen Leistungen des Lehrenden einen grossen Platz einnehmen (vgl. Schluep, a.a.O., S. 915, 918). In casu musste der Kläger im Unterricht auf die Tochter des Beklagten eingehen, um dieser einen ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Musikunterricht gewährleisten zu können. Die Tätigkeiten der Tochter in der Musikschule, beispielsweise das Lernen, Gestalten, Hören und Empfinden der Musik, sind als Erscheinungen zu betrachten, die den persönlichen Bereich betreffen. Beim vorliegenden Musikunterrichtsverhältnis handelt es sich zweifellos um ein sogenanntes «typisches» Auftragsverhältnis. Damit ist der Beklagte trotz anders lautender Bestimmung im Schulreglement befugt, den Vertrag nach Art. 404 Abs. 1 OR jederzeit aufzulösen (Ausführungen, dass die Kündigung zur Unzeit erfolgte).

(Entscheid Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 10. August 1994 (ER 11–4/94).

 

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Zivilrecht

– Werkeigentümerhaftung bei einer Wasserrutschbahn.

Aus dem Sachverhalt:

M., geb. 25.11.1968, fuhr in einem Ring sitzend die Wasserrutschbahn Cresta-Run hinunter. Bei der zweiten Kurve überschlug er sich und zog sich dabei einen Zahnschaden zu. M. verlangt vom Betreiber der Anlage und von dessen Haftpflichtversicherer einen Gesamtbetrag von Fr. 6000.– als Entschädigung für Zahnarztkosten und als Genugtuung.

Aus den Erwägungen:

1. (Ausführungen, dass kein Forderungsrecht gegen den Haftpflichtversicherer besteht.)

2. (Ausführungen, dass nicht nachgewiesen wurde, dass die eingeklagte Betreiberin Eigentümerin der Werkanlage ist, und dass nur die Eigentümerin für allfällige Werkmängel belangt werden kann.)

3. Zum Werkmangel: Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werkes haftet gemäss Art. 58 Abs. 1 OR für den Schaden, für welchen dieser infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder mangelhaften Unterhalts die Ursache setzt. Ein Werk ist dann fehlerhaft, wenn es für den ihm zugedachten Gebrauch keine hinreichende Sicherheit bietet (BGE 117 II 400 mit Hinweisen). Der Kläger nennt als Beweismittel für die Mangelhaftigkeit des strittigen Werkes lediglich den Augenschein (nähere Ausführungen zum Ergebnis des Augenscheins).

Der Einzelrichter kommt zum Schluss, dass die Wasserrutschbahn Cresta-Run bei vernünftiger Benützung und Einhaltung der von der Betreiberin umschriebenen Sicherheitsvorkehrungen sicher berutscht werden kann und keinen Mangel aufweist. Insbesondere kann ein Bahnbenützer bei korrekter Sitzposition, und sofern er sich vorschriftsgemäss an den Haltegriffen festhält, nicht aus dem Ring fallen. Die entsprechenden Hinweise bzw. Warnschilder sind denn auch gut sichtbar angebracht. Dass die Cresta-Run sicher benutzt werden kann, hat auch die Probefahrt des Gerichtsschreibers ergeben.

Ein Werkmangel kann entgegen klägerischer Ansicht nicht schon daraus abgeleitet werden, dass es immer wieder vorkommt, dass ein Bahnbenützer aus dem Ring fällt. Zum einen gilt es hier zu beachten, dass jede Wasserrutschbahn die Gefahr in sich birgt, dass Personen aus dem Ring fallen. Zum anderen ist vor Augen zu halten, dass das Alpamare dazu bestimmt ist, ein Plausch- und Vergnügungsbad zu sein. Insbesondere sollen die Wasserrutschbahnen einen Hauch von Abenteuer vermitteln. Die Benutzer der Wasserrutschbahn wollen durchgeschüttelt werden. Was die angesprochenen Fälle betrifft, ist weder nachgewiesen, dass sich Bahnbenützer vorschriftsgemäss verhalten haben, noch dass es jeweils auch zu Verletzungen gekommen ist.

(Entscheid Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 9. Mai 1994 (ER 7–3/93).

 

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Zivilprozessrecht

– Rechtsmittel bei allgemeinem Verbot nach § 179 ZPO; vgl. EGV-SZ 1990 Nr. 45.

Aus den Erwägungen:

1. Die angefochtene Verfügung stellt eine Erledigungsverfügung mit unbestimmtem Streitwert im Sinne von § 204 ZPO dar, die grundsätzlich mit dem Rekurs anfechtbar ist. Bereits in KG 268+339/93 RK 1 vom 19.10.1993 hat jedoch die 1. Rekurskammer mit Hinweis auf die Praxis festgestellt, dass zur Ergreifung des Rekurses nach § 204 ZPO nur die am Verfahren beteiligten Parteien legitimiert sind. Da sich ein allgemeines Verbot nach § 179 ZPO «gegen einen unbestimmten Personenkreis» richtet, wird dieses immer auf einseitiges Vorbringen des Gesuchstellers erlassen (§ 172 ZPO; EGV-SZ 1990, S. 125; ZR 73 1974, S. 288; Sträuli/Messmer, Kommentar zum gleichlautenden § 225 ZPO-ZH, N 2). Den vom Verbot betroffenen Dritten kommt folglich aufgrund der besonderen Natur des nichtstreitigen Verfahrens keine Parteistellung zu. Sie sind deshalb nach konstanter Praxis auch mit dem Rekurs nach § 204 ZPO ausgeschlossen.

2. Aus dem Fehlen der Rekursmöglichkeit schliessen die Beschwerdeführer, dass ihnen die Nichtigkeitsbeschwerde gemäss §§ 213ff. ZPO zur Verfügung stehe. Die Abgrenzung von Rekurs und Nichtigkeitsbeschwerde erfolgt indessen nicht nach Massgabe der Legitimation, sondern nach der Art des angefochtenen Entscheides, indem sie Platz greift, wo die Prozessbeteiligten mit dem Rekurs oder der Berufung ausgeschlossen sind
(§ 215 ZPO). Namentlich stellt die Nichtigkeitsbeschwerde keine «Popularbeschwerde» dar, die es irgendwelchen Dritten, die sich durch einen Entscheid in irgendeiner Weise betroffen fühlen, ermöglichen würde, diesen Entscheid anzufechten. Die Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde ergibt sich vielmehr aus den gleichen Grundsätzen, wie sie für die Berufung und den Rekurs gelten. Danach sind zur Einreichung eines Rechtsmittels befugt: die Parteien, der Haupt- und Nebenintervenient sowie allenfalls die Streitgenossen (vgl. dazu Sträuli/Messmer, a.a.O., N 5 vor § 259 ZPO-ZH; D. von Rechenberg, Die Nichtigkeitsbeschwerde in Zivil- und Strafsachen nach zürcherischem Recht, S. 11). Zur Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer kann folglich auf die Erwägungen zur Rekurslegitimation (vorne Ziff. 1) verwiesen werden.

3. Die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde ergibt sich schliesslich auch aus ihrem subsidiären Charakter. Sie ist nur gegeben gegen Entscheide, die nicht der Berufung oder dem Rekurs unterliegen (§ 215 ZPO). Gerade die Rechtsmittellegitimation «Dritter» ist jedoch in § 205 ZPO abschliessend geregelt. Danach können Drittpersonen gegen jeden Entscheid, der in ihr Recht eingreift, Rekurs erheben, auch wenn den Parteien selbst der Weiterzug nicht gestattet ist. Ist die Legitimation zur Anfechtung eines Entscheides durch eine Drittperson (z.B. im nichtstreitigen Verfahren) gegeben, so steht ihr demnach unabhängig von der Art des Entscheides der Rekurs, nicht aber die Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung. Neben diesem generellen und ausschliesslichen Rechtsmittel zugunsten «betroffener» Dritter bleibt für die subsidiäre Nichtigkeitsbeschwerde somit kein Raum.

Wie bereits in KG 268+339/93 RK 1 vom 19.10.1993 ausgeführt worden ist, können gemäss § 205 ZPO «Dritte» den Rekursweg beschreiten, sofern sie durch den angefochtenen Entscheid unmittelbar in ihren Rechten verletzt sind (Sträuli/Messmer, a.a.O., N 2 zum gleichlautenden § 273 ZPO-ZH). Mit dem allgemeinen Verbot wird indessen nur «für Ungehorsame, die kein besseres Recht nachzuweisen vermögen», Busse angedroht (§ 179 Abs. 2 ZPO). Ein das Verbot Übertretender hat folglich die Möglichkeit, im gegen ihn eröffneten Strafverfahren sein besseres Recht nachzuweisen und sich damit zu exkulpieren. Was K. erreichen will, ist denn auch lediglich ein Verbot gegenüber jenem Personenkreis, der kein Recht zum Befahren der B.-strasse besitzt. Vom Verbot ausgenommen sind ausdrücklich die Anwohner und Bewirtschafter des B.-gebietes. Das Verbot richtet sich also nicht gegen die Beschwerdeführer, weshalb sie durch das Verbot nicht unmittelbar betroffen sind. Dies gilt auch für die Gäste des Restaurants B. und die Mitglieder des Vereins, die sich – sofern bestehend – auf ihr besseres Recht berufen können. Bloss mittelbar schädigende Rückwirkungen, z.B. der mit dem allgemeinen Fahrverbot in Zusammenhang stehende Rückgang der Gäste im Gasthaus B., genügen für die Rekurslegitimation nach § 205 ZPO nicht (vgl. Sträuli/Messmer, a.a.O., N 2 zu § 273 und N 7 zu § 225 ZPO-ZH). Das Kantonsgericht hat deshalb bereits in EGV-SZ 1990 Nr. 45 die Rekurslegitimation von durch ein allgemeines Verbot «Betroffenen» in Übereinstimmung mit der Zürcher Praxis verneint. Fehlt den Beschwerdeführern aber die Legitimation zum Rekurs nach § 205 ZPO, was selbst von den Beschwerdeführern eingeräumt wird (Beschwerdeschrift S. 2 Ziff. 2), steht ihnen auch kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung. Denn § 205 ZPO bezieht sich auf alle Entscheide, die in die Rechte Dritter eingreifen. Für ein subsidiäres Rechtsmittel bleibt somit kein Raum, weshalb auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten werden kann.

4. Dass den Beschwerdeführern mit dem Ausschluss von Nichtigkeitsbeschwerde und Rekurs nicht jede Anfechtungsmöglichkeit des allgemeinen Verbotes genommen ist, wurde bereits in KG 268+339/93 vom 19.10.1993 dargelegt (Erw. 3). Haben sie Rechte an der Strasse, die mit dem allgemeinen Verbot unvereinbar sind, so beseitigt das ergangene Verbot diese Rechte nicht. Doktrin und Praxis sprechen den Betroffenen deshalb einhellig das Recht auf Erhebung einer negativen Feststellungsklage zu. Danach kann auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts geklagt werden, z.B. auf die gerichtliche Feststellung, dass das Eigentum des K. nicht so weit geht, um ein allgemeines Fahrverbot aufzustellen, sofern die Kläger ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung haben (Sträuli/Messmer, a.a.O., N 1 zu § 59 ZPO-ZH). Damit in Übereinstimmung steht auch § 175 Abs. 4 ZPO, wonach fehlerhafte Anordnungen, die auf einseitigen Antrag ergangen sind, aufgehoben und abgeändert werden können. Auf diese Weise können die Interessen der Rekurrenten ohne wesentliche Beeinträchtigung ihrer Rechte gewahrt werden. Das Verbot wird zwar zunächst erlassen; allfällige bessere Rechte bleiben aber bestehen. Der einzige Nachteil der Betroffenen besteht darin, dass sie klagen müssen, obschon an sich niemand verpflichtet ist, ein Recht wider seinen Willen oder früher als er will, geltend zu machen. Diese Regel gilt jedoch nur, soweit das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht, wie dies gerade bei § 179 ZPO der Fall ist (ZR 73 1974, S. 289). Das ordentliche Verfahren bietet zudem den Vorteil, dass die umstrittene Frage ohne Beschränkung der Beweismittel und in einer umfassenden Beurteilung der gegenseitigen Rechte und Pflichten entschieden werden kann.

(Beschluss vom 11. Februar 1994; KG 358/93 RK 1).

 

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Zivilprozessrecht

– Der Entscheid über die Sistierung des Prozesses obliegt allein dem Richter.

Aus den Erwägungen:

Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Nichtigkeitsbeschwerde auch in der Sache unbegründet ist. Die Beschwerdeführerin irrt namentlich in der Annahme, die Parteien könnten als Ausfluss der Dispositionsmaxime durch Vereinbarung über die Sistierung von pendenten Prozessen bestimmen. Dieser Verfahrensgrundsatz besagt mit Bezug auf den Verfahrensgang nur, dass der Richter nicht von Amtes wegen tätig wird; durch Parteihandlung kann der Prozessbeginn bestimmt und durch Parteihandlung – d.h. durch Klageanerkennung, Klagerückzug oder Vergleich – kann auch seine Beendigung herbeigeführt werden (Max Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 148; Oscar Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, N 6 zu § 30). Im übrigen obliegt die Verfahrensleitung während der Litispendenz jedoch ausschliesslich dem Gericht (§ 48 ZPO). Nur wenige Kantone sehen die Berechtigung der Parteien vor, eine Sistierung des Prozesses zu vereinbaren (Guldener, a.a.O., S. 277). Im Kanton Schwyz ist der Entscheid über die einstweilige Einstellung des Verfahrens aus zureichenden Gründen indessen ausdrücklich dem Richter vorbehalten (§ 49 Abs. 2 ZPO). Der Einzelrichter durfte somit unabhängig der Parteianträge und ohne Verletzung eines Verfahrensgrundsatzes (§ 213 Ziff. 1 ZPO) über die einstweilige Einstellung der Wiederherstellungsverfahren entscheiden.

(Beschluss vom 29. April 1994; KG 4/94 RK 2).

 

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Zivilprozessrecht

– Nachfrist nach § 208 Abs. 2 ZPO.

Aus den Erwägungen:

Gemäss § 208 Abs. 2 ZPO sind in der Rekursschrift «die Rekursanträge zu stellen und zu begründen». Die Rekursschrift muss demnach – im Gegensatz zum Berufungsverfahren (§§ 192/195 ZPO) – die Anträge und eine Begründung enthalten. Diesen Anforderungen genügt die von den Rekurrenten eingereichte Rechtsschrift insofern nicht, als ihr Rechtsvertreter wegen eines rund einmonatigen Auslandaufenthalts bewusst auf die Begründung der Anträge verzichtet hat. Zwar sieht § 208 Abs. 2 ZPO vor, dass dem Rekurrenten, wenn die Rekursschrift diesen Anforderung nicht genügt, «eine kurze Frist zur Behebung des Mangels angesetzt (wird) unter der Androhung, dass sonst auf den Rekurs nicht eingetreten werde». Diese Möglichkeit der Mängelbehebung kann indessen nicht dahin ausgelegt werden, dass generell ein Anspruch auf Nachfristansetzung zur Rekursbegründung bestünde. Auszugehen ist vielmehr vom Grundsatz, dass ein Rekurs mit Antrag und Begründung innert der 20tägigen Rekursfrist einzureichen ist. Diese Bestimmung würde wirkungslos, wenn sich jeder Rekurrent dadurch, dass er den Rekurs ohne Begründung einreicht, über die Nachfrist eine zusätzliche Begründungsfrist erwirken könnte. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er dem Richter allgemein die Befugnis zur Erstreckung der Begründungsfrist eingeräumt. Daraus, dass dies nicht geschehen ist, darf geschlossen werden, die Nachfristansetzung zur Rekursbegründung solle die Ausnahme und nicht die Regel sein (so ausdrücklich BGE 108 Ia 211 E. 3). In diesem Entscheid, welcher zu einer analogen Bestimmung des zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes (§ 23 VRG) ergangen ist, führte das Bundesgericht weiter aus, es könne sicher nicht derjenige Rekurrent eine Nachfrist beanspruchen, welcher die Erfordernisse an die Rekursschrift bewusst nicht erfüllt habe mit dem Zweck, eine Nachfrist zu erwirken. Die Nachfrist könne nicht dazu dienen, die Frist zur Beschwerdebegründung zu verlängern, d.h. eine inhaltlich ungenügende Rechtsschrift zu ergänzen. Die beschwerdeführende Partei könne daher auch keinen Anspruch auf Fristansetzung haben. Sie erwerbe insbesondere einen solchen nicht dadurch, dass sie eine unvollständige Begründung einreiche (BGE 108 Ia 212, 96 I 96). Diese Praxis ist auch von Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hinsichtlich der analogen Bestimmung in § 38 VRP übernommen worden (EGV-SZ 1985 Nr. 45, 1989 Nr. 7). Sinn und Zweck der Nachfristansetzung sei, ein Rechtsmittel nicht von vornherein an formellen Anforderungen scheitern zu lassen. Geholfen werden soll in erster Linie rechtsunkundigen Laien, die mit den Verfahrensregeln wenig oder überhaupt nicht vertraut seien. Dies könne bei einem Rechtsanwalt aber nicht angenommen werden. Ein solcher müsse wissen, dass innert der gesetzlichen Rechtsmittelfrist von 20 Tagen eine rechtsgenügliche Rechtsschrift einzureichen sei. Wer absichtlich eine mangelhafte Rechtsmitteleingabe mache und das Begründungserfordernis bewusst missachte, habe deshalb keinen Anspruch darauf, durch Gewährung einer Nachfrist von den Folgen seiner selbstverschuldeten Säumnis entlastet zu werden. Ein solches Verhalten käme einer rechtsmissbräuchlichen Verlängerung der gesetzlichen Rechtsmittelfristen gleich, was insbesondere gegenüber den pflichtgemäss handelnden Verfahrensparteien einen ungerechtfertigten Vorteil bedeuten würde. Rechtsmissbräuchliches Handeln verdiene aber keinen Rechtsschutz (EGV-SZ 1985 Nr. 45, S. 136).

Diese Auslegung entspricht auch der Praxis des Kantonsgerichtes zu § 208 ZPO. Die Nachfristansetzung wird vor allem gegenüber juristischen Laien praktiziert, namentlich zur Nachreichung von klaren Anträgen. Gegenüber Rechtsanwälten wird indessen nur in ausserordentlichen, objektiv begründeten Fällen davon Gebrauch gemacht. Zeitknappheit, mit welcher Anwälte mit konstanter Regelmässigkeit konfrontiert sind, reicht hiefür in der Regel jedoch nicht aus, jedenfalls dann nicht, wenn diese – wie im vorliegenden Fall – durch vorausgeplante Abwesenheit bewirkt worden ist (EGV-SZ 1985 Nr. 45, S. 136). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Rechtsvertreter der Rekurrenten seine Anwaltskanzlei in einer Bürogemeinschaft betreibt, so dass bei ferienbedingter Abwesenheit eines Partners mit entsprechender Organisation ohne weiteres für eine genügende Vertretung gesorgt werden kann. Aber auch bei gänzlicher Schliessung der Kanzlei infolge Betriebsferien hätte er durch eine externe Vertretung für die Besorgung seiner Mandate besorgt sein müssen, was ohne weiteres daraus erhellt, dass auch für den Fall der Veröffentlichung der Konkurseinstellung während der Ferienabwesenheit die notwendigen Vorkehrungen hätten getroffen werden müssen. Auch hätte der Rechtsvertreter der Rekurrenten nach erfolgter Veröffentlichung der Konkurseinstellung noch genügend Zeit gehabt, einen anderen Anwalt mit der Mandatsführung zu beauftragen und zu instruieren. Die mangelhafte Rekursbegründung ist demnach selbstverschuldet, weshalb im Sinne der erwähnten Praxis eine Nachfrist zur Ergänzung der Rekursbegründung nicht anzusetzen ist.

(Beschluss vom 28. Februar 1994; KG 443/93 RK 2).

 

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Zivilprozessrecht

– Verfahren bei Klageeinleitung nach Art. 274 f OR

Aus den Erwägungen:

1. Der Einzelrichter begründet seinen Nichteintretensentscheid damit, das Gerichtsverfahren im Sinne von Art. 274 f OR, mit dem die unterlegene Partei sich gegen den Entscheid der Schlichtungsbehörde wende, beginne mit der Einreichung der Klageschrift beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren. Korrekterweise hätte die Rechtsmittelbelehrung der Schlichtungsstelle präzisieren müssen, die Klageschrift habe den Anforderungen von § 95 ZPO zu entsprechen, doch seien die Kläger durch einen Anwalt vertreten, der von Berufs wegen wisse, dass die Klageschrift nebst den Rechtsbegehren eine Begründung und die Beweisanträge enthalten müsse. Einem juristischen Laien, der diese Anforderungen nicht erfülle, werde zwar praxisgemäss im Sinne von § 95 Abs. 3 ZPO Frist zur Behebung des Mangels angesetzt, unter der Androhung, dass sonst auf die Klage nicht eingetreten werde. Anwälten gegenüber rechtfertige sich hingegen solche Nachsicht nicht. So werde nach konstanter Praxis des Kantonsgerichtes Nachfrist im Sinne von § 208 Abs. 2 ZPO zur Verbesserung einer mangelhaften Rekursschrift nur Nichtanwälten gewährt, von denen im Unterschied zu den Anwälten die genaue Kenntnis der prozessualen Anforderungen an Form und Inhalt von Rechtsschriften nicht unbedingt verlangt werden könne. Diese Praxis sei vorliegend analog anzuwenden, die Interessenlage sei praktisch identisch, denn in beiden Fällen gehe es darum, das Gericht bzw. die Rekursinstanz innert bestimmter Frist gehörig anzurufen. Nachdem der Vertreter der Kläger das Begehren um Mieterstreckung nicht einmal summarisch begründet habe, was ihm ohne weiteres zuzumuten gewesen wäre, sei auf das Erstreckungsbegehren mangels Einreichung einer gehörigen Klageschrift nicht einzutreten.

Der Hinweis des Einzelrichters auf die strenge Praxis des Kantonsgerichtes zur Frage der nachträglichen Ergänzung der Rekursbegründung gemäss § 208 Abs. 2 ZPO trifft an sich zu. Im zitierten Entscheid KG 365/91 RK 1 vom 22. Januar 1992 i. S. M., der das Gesuch eines ausserkantonalen Anwaltes um Wiederherstellung der Frist zur Einreichung der Rekursbegründung betraf, hielt die 1. Rekurskammer fest, Nachfrist gemäss § 208 Abs. 2 ZPO zur Verbesserung der Rekursschrift werde praxisgemäss nur Nichtanwälten gewährt; würde Anwälten wegen Überlastung Nachfrist zur Ergänzung der Rekursbegründung gewährt, liefe dies regelmässig auf eine Verlängerung der gesetzlich auf 20 Tage festgelegten Rekursfrist hinaus, was abzulehnen sei.

Dem Einzelrichter ist zuzugeben, dass zwischen der Anrufung des Richters gemäss Art. 274 f Abs. 1 OR und der Rekurserhebung im Sinne von § 208 Abs. 1 ZPO insofern eine Parallele besteht, als Klage und Rekurs innerhalb bestimmter Frist einzureichen sind und Fristversäumnis Verwirkungsfolgen nach sich zieht. Diese Parallele besteht übrigens zu allen Verfahren, für die bundes- oder kantonalrechtlich Klagefristen vorgesehen sind. Wird hier gestützt auf § 95 Abs. 3 ZPO Nachfrist zur Verbesserung oder Ergänzung der Klageschrift gewährt, kann dies im Effekt ebenfalls auf eine Verlängerung der gesetzlichen Klagefrist hinauslaufen. Ob es sich indessen rechtfertigt, die strenge Praxis des Kantonsgerichtes zur Nachfristgewährung im Sinne von § 208 Abs. 2 ZPO auf § 95 Abs. 3 ZPO zu übertragen, ist damit nicht gesagt und bedarf näherer Prüfung. Diese hat sich auf das Gerichtsverfahren gemäss Art. 274 f OR (Streit
aus Miete von Wohnungs- oder Geschäftsräumen) nach Abschluss des Schlichtungsverfahrens zu beschränken.

2. Abgesehen von Klage- und Rekursfrist, die einzuhalten sind, um das Verfahren überhaupt in Gang zu setzen, bestehen zwischen dem Rekursverfahren im Sinne der §§ 203ff. ZPO und dem Klageverfahren nach Art. 274 f OR markante Unterschiede.

a) Beim kantonalrechtlichen Rekursverfahren handelt es sich um ein straff geregeltes Rechtsmittelverfahren, das in einfachem Schriftenwechsel (Rekursschrift/Rekursantwort) durchgeführt wird. Nur wenn die Rekursantwort neue Tatsachen oder neue grundsätzliche Standpunkte enthält, wird dem Rekurrenten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. In der Rekursschrift hat also der Rekurrent seinen Standpunkt abschliessend und definitiv darzulegen. – Die «Anrufung des Richters» gemäss Art. 274 f Abs. 1 OR (oder Art. 259 i Abs. 2 OR) ist dagegen kein Rechtsmittel, kein Weiterzug eines Verfahrens an die nächsthöhere Instanz, das Gerichtsverfahren keine Fortsetzung des Verfahrens vor der Schlichtungsbehörde und der Richter nicht Rechtsmittelinstanz. Vielmehr tritt der Mieterstreit mit der Anrufung des Richters erstmals in die gerichtliche Phase. Der durchgeführte Schlichtungsversuch und der Entscheid der Schlichtungsbehörde sind lediglich prozessuale Voraussetzungen dafür, dass Klage beim Richter erhoben werden kann. Entscheidet die Schlichtungsbehörde nach erfolglosem Schlichtungsversuch über die zulässige Mietzinshöhe, die Gültigkeit einer Kündigung oder über eine Mieterstreckung, kommt dieser Entscheid nur zum Tragen, wenn die Anrufung des Richters unterbleibt. Gelangt dagegen die unterlegene Partei innert 30 Tagen an den Richter, so fällt der Entscheid der Schlichtungsbehörde ohne weiteres dahin. Die Anrufung des Richters gemäss Art. 274 f OR hat damit primär die Funktion einer Einsprache ähnlich § 178 Abs. 3 ZPO, mit der Folge, dass das Gerichtsverfahren in Gang gesetzt wird und der Richter erstinstanzlich urteilt, also nicht etwa den Entscheid der Schlichtungsbehörde überprüft, ihn aufhebt, abändert oder bestätigt. Der Entscheid der Schlichtungsbehörde bestimmt lediglich die Parteirollenverteilung des richterlichen Verfahrens (BGE 117/1991 II 506f. unter Hinweis auf SVIT-Kommentar Mietrecht, N 3 zu Art. 274 f OR). Im übrigen ist die Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrens den Kantonen überlassen (Art. 274 OR), mit der Einschränkung allerdings, dass die Kantone für Mietstreitigkeiten ein einfaches und rasches Verfahren vorzusehen haben (Art. 274 d Abs. 1 OR). Auch mit diesem Vorbehalt muss aber das erstinstanzliche Gerichtsverfahren mit umfassendem rechtlichem Gehör und ohne Beweisbeschränkung als vollwertiges Erkenntnisverfahren ausgebaut sein, den Parteien mithin Gelegenheit geben, sich im Hauptverfahren in der Regel zweimal zu äussern. Der Kläger hat grundsätzlich Anspruch auf Replik, im Unterschied zum kantonalen Rekursverfahren ist er nicht gehalten, seinen Standpunkt schon in der ersten Rechtsschrift abschliessend darzulegen (vgl. dazu Guldener, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 176 f.). Schon aus dieser Sicht ist also das Gerichtsverfahren im Sinne von Art. 274 f OR weniger straff ausgestaltet als das Rekursverfahren gemäss den §§ 203ff. ZPO.

b) Aber auch hinsichtlich der Klarheit der Regelung unterscheiden sich die beiden Verfahren stark. Das Rekursverfahren gemäss §§ 203ff. ZPO ist in wenigen Paragraphen klar und präzis geregelt. Dies gilt speziell für § 208 ZPO mit dem Randtitel «Frist und Form des Rekurses». Nach § 208 Abs. 1 ZPO ist der Rekurs «unter Vorbehalt abweichenden Bundesrechts innert 20 Tagen seit der schriftlichen Mitteilung des Entscheides der Rekursinstanz schriftlich einzureichen». Und § 208 Abs. 2 ZPO lautet:

«In der Rekursschrift sind die Rekursanträge zu stellen und zu begründen. Genügt die Rekursschrift diesen Anforderungen nicht, so wird dem Rekurrenten eine kurze Frist zur Behebung des Mangels angesetzt unter der Androhung, dass sonst auf den Rekurs nicht eingetreten werde. …»

Wer Rekurs erheben will, kann also über die ihn treffenden Obliegenheiten nicht im Zweifel sein: Er hat innert der Rekursfrist die Rekursschrift einzureichen, darin die Rekursanträge zu stellen und diese Anträge zu begründen.

Weit weniger klar ist die Regelung des Gerichtsverfahrens nach Art. 274 f OR. Danach hat die unterlegene Partei, die den Entscheid der Schlichtungsbehörde nicht akzeptieren will, innert 30 Tagen «den Richter anzurufen». In welcher Form dies zu geschehen hat, sagt das OR nicht. Zuständigkeit und Verfahren regeln, wie gesagt, die Kantone. Der Kanton Schwyz verweist Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen in das beschleunigte Verfahren (§ 5 lit. a der Vollzugsverordnung zum OR, VVOR, GS II/200). Zuständig ist also nach § 12 Abs. 1 GO der Einzelrichter. Nach § 188 ZPO gelten für das beschleunigte Verfahren die gleichen Vorschriften wie für das ordentliche Verfahren, soweit die Prozessordnung nichts anderes vorschreibt. Eine solche abweichende Vorschrift enthält § 82 Abs. 2 ZPO, wonach im beschleunigten Verfahren nur bei Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen und Verträgen zwischen Letztverbrauchern und Anbietern eine Sühneverhandlung stattfindet. Daraus ergibt sich, dass Mietstreitigkeiten im Sinne von Art. 274 f OR direkt beim Einzelrichter einzuleiten sind (das Sühneverfahren wird durch das Verfahren vor der Schlichtungsbehörde ersetzt). Unklar bleibt weiterhin, in welcher Form die Klage zu erheben ist. Im ordentlichen Prozessverfahren genügt hiezu im allgemeinen die Einreichung der Weisung (§ 91 Abs. 1 ZPO). Der angerufene Richter erfährt daraus die Bezeichnung der Parteien, allfällige Vertretungsverhältnisse und das Rechtsbegehren des Klägers sowie die Stellungnahme des Beklagten dazu (§ 89 ZPO); die Weisung enthält zudem die Bescheinigung, dass das vorgeschriebene Sühneverfahren stattgefunden hat. Üblicherweise reicht der Kläger allerdings mit der Weisung zugleich die Klageschrift ein. Tut er dies nicht, erleidet er aber keinen Nachteil, sondern der Richter hat ihm unter Hinweis auf § 95 ZPO Frist zur Einreichung der Klageschrift anzusetzen. Für Mietstreitigkeiten im Sinne von Art. 274 f OR gilt § 91 Abs. 1 ZPO nicht, denn dabei handelt es sich, wie gezeigt, um eine Klage, «die gemäss Spezialgesetzgebung direkt dem Gericht einzureichen» ist. Solche Klagen werden gemäss § 93 Ziff. 3 ZPO durch «schriftliche Eingabe» rechtshängig gemacht. Dem Einzelrichter ist wohl zuzugeben, dass mit dem Ausdruck «schriftliche Eingabe» in § 93 ZPO die Klageschrift gemeint ist, dass also die «Anrufung des Richters» im Sinne von Art. 274 f OR durch Einreichung der Klageschrift beim Einzelrichter zu erfolgen hat. Klar formuliert ist aber § 93 ZPO in dieser Hinsicht nicht, denn der Ausdruck «schriftliche Eingabe» ist nicht zwingend mit einer Klageschrift im Sinne von § 95 ZPO gleichzusetzen. Der Wortlaut schliesst jedenfalls die Ansicht des Rechtsvertreters der Kläger nicht zum vornherein aus, § 93 ZPO erlaube es dem Kläger, die Klage noch unmittelbar vor Ablauf der Klagefrist von Art. 274 f OR rechtshängig zu machen, indem er mit schriftlicher Eingabe dem Einzelrichter die Parteien und das Rechtsbegehren bekanntgebe, verbunden mit dem Antrag, Frist zur Klagebegründung zu setzen. Ähnlich scheinen es Sträuli/Messmer für die Einleitung des beschleunigten Verfahrens im Sinne von § 104 lit. b ZPO-ZH genügen zu lassen, dass der Kläger eine schriftliche Eingabe oder eine Klageschrift rechtzeitig einreicht (N 4 a.E. zu § 106 ZPO-ZH). Um jeden Zweifel auszuschliessen, müsste der Einleitungssatz von § 93 ZPO präziser gefasst sein, etwa mit der Formulierung: «Ohne Sühneverfahren werden beim Gericht durch Einreichung der Klageschrift im Sinne von § 95 ZPO rechtshängig gemacht: …».

c) Vergleicht man nun die beiden Verfahrensarten – das Rekursverfahren im Sinne der §§ 203ff. ZPO und das Klageverfahren gemäss Art. 274 f OR in Verbindung mit § 5 lit. a VVOR – im Lichte dieser Überlegungen, lässt sich zwar mit dem Einzelrichter sagen, dass die Interessenlage weitgehend identisch ist: In beiden Verfahren gilt es, bei drohendem Rechtsverlust den Richter (Einzelrichter bzw. Rekursinstanz) innert gesetzlicher Frist gehörig anzurufen, und in beiden Fällen läuft die Gewährung einer Nachfrist zu ergänzender Begründung im Ergebnis auf eine Verlängerung der Klage- oder Rekursfrist hinaus, was die Gefahr des Missbrauchs in sich schliesst. Auf der andern Seite weichen aber die Verfahrensregeln vor allem hinsichtlich der Genauigkeit der Formulierungen stark voneinander ab. § 208 ZPO weist den Rekurrenten unzweideutig an, innert der Rekursfrist die Rekursschrift mit den Rekursanträgen und der Begründung einzureichen. Art. 274 f OR spricht dagegen vage von «Anrufung des Richters», und auch die kantonalen Ausführungsbestimmungen präzisieren nicht eindeutig, in welcher Form der Richter anzurufen ist. Wenn der Einzelrichter betont, der «einschlägige Text» der massgebenden Bestimmungen sei «praktisch identisch», zitiert er die Bestimmungen unvollständig: er vergleicht § 95 Abs. 3 ZPO mit § 208 Abs. 2 Satz 2 ZPO, übersieht dabei aber, dass § 208 Abs. 2 ZPO mit dem Satz beginnt: «In der Rekursschrift sind die Rekursanträge zu stellen und zu begründen», während § 95 Abs. 1 ZPO undeutlich und verwirrend dahin lautet, die Klage sei schriftlich einzureichen, sie enthalte «den Inhalt der Weisung (§ 89 Ziff. 1–5), die Tatsachen, die dem Streitverhältnis zugrunde liegen und die Beweisanträge». Diese Formulierung passt von vornherein nicht für Klagen, die – wie das vorliegende Mieterstreckungsbegehren – ohne Sühneverfahren direkt dem Richter einzureichen sind (vgl. dazu die klarere Formulierung der analogen Bestimmung von § 106 Abs. 1 ZPO-ZH). § 95 Abs. 3 ZPO, auf den der Einzelrichter Bezug nimmt, lautet:

«Erfüllt der Kläger die Anforderungen nicht, so setzt ihm das Gericht eine kurze Frist zur Behebung des Mangels an, unter der Androhung, dass sonst auf die Klage nicht eingetreten werde.»

Diese Vorschrift stimmt zwar inhaltlich mit § 208 Abs. 2 Satz 2 ZPO überein, steht aber, wie gezeigt, in einem ganz andern (völlig unscharfen) Kontext. Hinzu kommt, dass die Klageschrift – im Unterschied zur Rekursschrift – nicht abschliessend formuliert sein muss, sondern sich darauf beschränken kann, die Klagebegehren einstweilen kurz und summarisch zu begründen, um je nach der Reaktion der beklagten Partei die Klagevorbringen in der Replik tatbeständlich und rechtlich zu ergänzen. Hierauf nimmt der Einzelrichter mit dem Hinweis Bezug, dem Vertreter der Kläger wäre zumindest zuzumuten gewesen, das Mieterstreckungsbegehren gerafft, summarisch zu begründen. Wollte man die strenge Praxis des Kantonsgerichtes zur Frage der Nachfristansetzung im Rekursverfahren gemäss § 208 Abs. 2 ZPO auf das Klageverfahren nach Art. 274 f OR übertragen, führte dies unweigerlich zur Rechtsunsicherheit darüber, welche Anforderungen an eine summarisch begründete Klage gestellt werden dürfen, wann eine solche Klage hinzunehmen ist, wann darauf nicht eingetreten werden muss.

Gegen das Vorgehen des Einzelrichters spricht also neben der unzulänglichen Rechtsmittelbelehrung der Schlichtungsbehörde auch die im Vergleich zu § 208 Abs. 2 ZPO unscharfe Formulierung der Verfahrensbestimmungen zur Einleitung direkter Klagen beim Richter, ferner die unterschiedliche Struktur des Klage- und Rekursverfahrens. Zudem besteht kein dringendes Bedürfnis, die strenge Praxis zu § 208 Abs. 2 ZPO analog auf das Verfahren gemäss Art. 274 f OR anzuwenden. Der Einzelrichter hat es ja in der Hand, Missbräuchen durch Ansetzung kurzer, zerstörlicher Fristen zu begegnen (§ 49 Abs. 1 ZPO). Hinzu kommt, dass das Kantonsgericht als einzige kantonale Rekursinstanz gestützt auf den klaren Wortlaut von § 208 Abs. 2 ZPO für eine strenge und einheitliche Praxis sorgen kann, während die Gefahr besteht, dass die Einzelrichter der Bezirke – nicht zuletzt wegen der teils unscharfen Formulierung der Verfahrensvorschriften – eine unterschiedliche Praxis befolgen, worauf die Kläger nicht ohne Grund hinweisen. Auch im Interesse der Rechtssicherheit rechtfertigt es sich deshalb, § 95 ZPO milder anzuwenden als § 208 ZPO und Nachfrist zur Verbesserung der Klageschrift auch zu gewähren, wenn die klagende Partei durch einen Anwalt vertreten ist. Damit wird dem jüngst vom Bundesgericht wiederum betonten Grundsatz Rechnung getragen, dass der Rechtsuchende nicht ohne Not und nicht ohne klare anderslautende Gesetzesbestimmung um die Beurteilung seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz gebracht werden soll (BGE 118/1992 Ia 243f.).

(Beschluss vom 3. August 1994; KG 214/94 RK 1).

 

32

Zivilprozessrecht

– Widerklage und sachliche Zuständigkeit.

Aus den Erwägungen:

1. Mit seiner Hauptklage fordert der Kläger vom Beklagten ein Restguthaben aus den ihm übertragenen Renovationsarbeiten. Die Klage stützt sich also auf Werkvertragsrecht, sie betrifft Werklohnforderungen. Es handelt sich um eine gewöhnliche Forderungsklage, die im ordentlichen Verfahren zu beurteilen ist. Sachlich zuständig zur Behandlung solcher Klagen ist bei Streitwerten bis zu Fr. 6000.– der Einzelrichter im ordentlichen Verfahren (§ 10 GO), bei höheren Streitwerten das Bezirksgericht als Kollegialgericht (§ 19 GO). Der Streitwert der Hauptklage beträgt rund 18000 Franken, örtlich und sachlich zuständig zu ihrer Beurteilung ist unbestritten das Bezirksgericht March.

Die vom Beklagten erhobene Widerklage in Höhe von rund 40000.– Franken betrifft teils Mietzinsforderungen, teils Mieterschäden und Schadenersatz wegen vorzeitiger Auflösung des Mietverhältnisses.

Für Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen schreibt das Bundesrecht den Kantonen «ein einfaches und rasches Verfahren» vor (Art. 274 d Abs. 1 OR), zudem hat der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen (Art. 274 d Abs. 3 OR). Die Kantone bezeichnen die zuständigen Behörden und regeln das Verfahren (Art. 274 OR). Der Kanton Schwyz hat (anders als beispielsweise der Kanton Zürich, vgl. § 14 GVG-ZH) darauf verzichtet, spezielle Mietgerichte zu schaffen; er verweist Mietstreitigkeiten in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters im beschleunigten Verfahren (§ 5 lit. a VVzOR). Ob man den Einzelrichter in seiner Funktion als Mietrichter als Sondergericht bezeichnen will (vgl. dazu Guldener, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 17ff.), mag dahingestellt bleiben, wesentlich ist bloss, dass Mietstreitigkeiten generell nicht von den ordentlichen Zivilgerichten (Einzelrichter im ordentlichen Verfahren/Bezirksgericht) beurteilt werden, sondern (ohne Rücksicht auf den Streitwert) ausschliesslich vom Einzelrichter, und dass als Verfahrensart das beschleunigte Verfahren vorgeschrieben ist. Überdies sind Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen, soweit sie jedenfalls die Mietzinshöhe oder Schadenersatzforderungen des Vermieters aus Mieterschäden zum Gegenstand haben, vor Anrufung des Richters zwingend der Schlichtungsbehörde vorzulegen (Art. 274 a Abs. 1 lit. b OR; BGE 118/1992 II 307f. = Pra 82/1993, Nr. 166), einer Behörde also, in der Vermieter und Mieter paritätisch vertreten sein müssen (Art. 274 a Abs. 2 OR).

2. Umstritten ist vorliegend, ob der Beklagte im Prozess um die Werklohnforderungen des Klägers mit Widerklage Gegenforderungen aus dem Mietverhältnis einklagen kann. Der Kläger hält dies nach wie vor für unzulässig, weil für die Forderungen aus Mietvertrag eine andere sachliche Zuständigkeit (Einzelrichter statt Bezirksgericht) und eine andere Verfahrensart vorgeschrieben ist (beschleunigtes statt ordentliches Verfahren). Die Antwort lässt sich weder aus dem Begriff der Widerklage noch aus der Prozessordnung direkt entnehmen.

Widerklage ist die im hängigen Prozess des Klägers vom Beklagten gegen den Kläger selbständig erhobene Klage; der Beklagte wird zugleich Widerkläger, der Kläger Widerbeklagter. Statt sich bloss mit Bestreitungen oder Einreden gegen die Klage (Haupt- oder Vorklage) zu wehren, geht der Beklagte zum Gegenangriff über, indem er einen selbständigen, von der Hauptklage nicht erfassten Anspruch einklagt. Über beide Klagen wird dann im gleichen Prozess und im gleichen Urteil entschieden. Die Hauptbedeutung der Widerklage liegt darin, dass sie beim Gericht der Hauptklage eingebracht werden kann, auch wenn dieses Gericht – würde der Anspruch selbständig eingeklagt – zur Beurteilung örtlich nicht zuständig wäre. Gegen die Klage eines in einem andern Gerichtskreis oder in einem andern Kanton wohnhaften Klägers kann der an seinem Wohnsitz eingeklagte Beklagte Widerklage erheben, auch wenn das Widerklagebegehren als selbständige Klage am Wohnsitz des Klägers anzubringen wäre. Auf den in Art. 59 BV garantierten Wohnsitzgerichtsstand kann sich der Kläger nicht berufen, wenn Klage- und Widerklageanspruch rechtlich zusammenhängen, d.h. aus dem gleichen Rechtsgeschäft oder aus dem gleichen Tatbestand abgeleitet werden. In diesem Sinne bestimmt § 15 ZPO unter dem Abschnitt «örtliche Zuständigkeit» und dem Randtitel «Widerklage»:

«Das Gericht, bei dem die Klage rechtshängig ist, beurteilt unter Vorbehalt von § 55 Abs. 3 auch die Widerklage, sofern zwischen Haupt- und Widerklage ein sachlicher Zusammenhang besteht. Hat der Hauptkläger Wohnsitz im Kanton Schwyz, so genügt es, dass beide Ansprüche verrechenbar sind.»

Im übrigen befasst sich die Prozessordnung mit der Widerklage nur rudimentär. § 19 Abs. 2 ZPO bemerkt unter dem Abschnitt «sachliche Zuständigkeit», der Streitwert der Widerklage werde mit jenem der Hauptklage nicht zusammengerechnet, die Zulässigkeit von Rechtsmitteln richte sich nach dem höheren Streitwert. Und § 55 ZPO bestimmt im Abschnitt «Grundsätze des Verfahrens» mit dem Randtitel «Widerklage»:

«Eine beim Gericht rechtshängige Widerklage fällt durch Rückzug oder Anerkennung der Hauptklage nicht dahin.

Die Widerklage kann abgetrennt werden, wenn dadurch das Verfahren gefördert wird.

Verändert eine Widerklage wegen des Streitwertes die sachliche Zuständigkeit, so wird der Prozess von Amtes wegen dem zuständigen Gericht zur Weiterführung überwiesen.»

Auf die hier zu entscheidende Frage, ob Widerklage auch zulässig ist, wenn für die Widerklagebegehren eine andere (sachliche) Zuständigkeit und eine andere Verfahrensart gilt als für die Hauptklage, geben diese Bestimmungen keine Antwort.

3. Das Bezirksgericht trat auf die Widerklage ein, ohne sich aber mit der vom Kläger aufgeworfenen Problematik auseinanderzusetzen. Statt dessen stützte es sich auf die in EGV 1982, Nr. 27 und EGV 1983, Nr. 22 publizierten Entscheide des Kantonsgerichtes. Zunächst führte es aus, liesse man vorliegend die Widerklage nicht zu, würden innerhalb des gleichen örtlichen Gerichtsstandes zwei verschiedene sachliche Zuständigkeiten in verschiedenen Verfahrensarten begründet; dem stehe der klare Zweck der Widerklage entgegen, Haupt- und Widerklage vom gleichen Gericht beurteilen zu lassen, wie das Kantonsgericht in EGV 1982, Nr. 27 entschieden habe.

Die Frage der gleichen Verfahrensart als Zulässigkeitsvoraussetzung der Widerklage war aber nicht Gegenstand jenes kantonsgerichtlichen Präjudizes. Im dort beurteilten Fall galt für Klage und Widerklage das ordentliche Verfahren, die Hauptklageforderung fiel in die Zuständigkeit des Einzelrichters im ordentlichen Verfahren, die Widerklageforderung überstieg hingegen die damals geltende Streitwertgrenze von Fr. 4000.–, das Kantonsgericht entschied lediglich, massgebend sei unter diesen Umständen die Klage mit dem höheren Streitwert, demnach habe der Einzelrichter die Sache von Amtes wegen dem Bezirksgericht zur Behandlung zu überweisen. Diesem Entscheid wurde bei der Revision der Zivilprozessordnung im Jahre 1988 mit dem neuen Absatz 3 zu § 55 ZPO Rechnung getragen (eingefügt am 17. März 1988). Eine weitergehende Bedeutung kommt dem Präjudiz nicht zu, insbesondere lässt sich daraus nicht entnehmen, die Widerklage sei auch zuzulassen, wenn für die Widerklagebegehren eine spezielle sachliche Zuständigkeit oder eine andere Verfahrensart vorgesehen sei als für die Hauptklage. – Auch auf den in EGV 1983, Nr. 22 veröffentlichten Entscheid des Kantonsgerichtes lässt sich die Auffassung der Vorinstanz nicht stützen. Streitgegenstand war damals nicht das Verhältnis von Haupt- und Widerklage, sondern die Frage, ob der mit der Widerklage erhobene Anspruch bei mehrfacher Begründung verschiedenen Instanzen zur Beurteilung zugewiesen werden dürfe. Jener Kläger hatte als Bauführer eine arbeitsrechtliche Forderung von rund 2000 Franken beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren eingeklagt, und die beklagte Baufirma hatte Widerklage in Höhe von rund 47000 Franken mit der Begründung erhoben, der Kläger habe während der Arbeitszeit für Dritte Arbeiten ausgeführt, sie also konkurrenziert und teils gar ihre Baupläne für diese Konkurrenztätigkeit missbraucht. Der Einzelrichter wies die Widerklage unter dem Gesichtspunkt von Art. 321 e OR – Haftung für Missbrauch der Arbeitszeit – ab und trat auf die von der Beklagten geltend gemachten urheberrechtlichen Aspekte in der Meinung nicht ein, hierüber habe nach Art. 45 Abs. 1 aURG und § 28 Abs. 4 GO das Kantonsgericht als einzige kantonale lnstanz zu entscheiden. Das Kantonsgericht hingegen fand, falls der gleiche Anspruch nach mehreren Gesetzesbestimmungen beurteilt werden müsse, welche verschiedene sachliche Zuständigkeiten begründeten, dürfe die Klage nicht in Teile zerlegt, sondern sie müsse unter sämtlichen Aspekten vom gleichen Gericht beurteilt werden, von jenem Gericht, das unter den wesentlichsten Gesichtspunkten zu entscheiden habe. Der Widerklage lag in jenem Fall in erster Linie das Arbeitsverhältnis als Lebensvorgang zugrunde, demgemäss wurde der Einzelrichter angewiesen, die gesamte Widerklage – auch deren urheberrechtliche Aspekte – zu beurteilen. Mit der Frage, ob in einem Prozess im ordentlichen Verfahren eine Widerklage erhoben werden kann, die als selbständige Klage einer speziellen sachlichen Zuständigkeit und einer andern Verfahrensart unterläge, hatte sich auch dieser Entscheid nicht zu befassen.

4. Seine Auffassung, das Bezirksgericht hätte auf die Widerklage nicht eintreten dürfen, will der Kläger auf § 54 ZPO stützen. Diese Bestimmung, die praktisch wörtlich aus der Zürcher Prozessordnung übernommen wurde (§ 58 ZPO-ZH), regelt die sog. objektive Klagenhäufung in Abs. 1 wie folgt:

«Der Kläger kann im gleichen Verfahren mehrere Rechtsbegehren gegen den Beklagten erheben, sofern für sie die Zuständigkeit des Gerichtes gegeben und die gleiche Verfahrensart vorgesehen ist.»

Der Kläger macht geltend, die Widerklage sei ein Sonderfall der objektiven Klagenhäufung, die in § 54 Abs. 1 ZPO genannten beiden Voraussetzungen – gleiche Zuständigkeit und gleiche Verfahrensart – müssten deshalb auch für die Widerklage gelten (Rekursschrift S. 4f. Ziff. 3). Die Widerklage ist aber kein Sonderfall der Klagenhäufung. Sie hat mit der Klagenhäufung nur gemeinsam, dass im gleichen Prozess mehrere Klagebegehren zu beurteilen sind. Die objektive Klagenhäufung ist die Vereinigung mehrerer Klagebegehren in der gleichen Klage, der Kläger erhebt mit der gleichen Klage mehrere Klagebegehren gegenüber dem Beklagten. Die Widerklage hingegen ist – wie oben ausgeführt – eine vom Beklagten im hängigen Prozess gegen den Kläger erhobene Klage. Objektive Klagenhäufung kann – wie gerade der vorliegende Fall illustriert – auf seiten der Haupt- wie der Widerklage bestehen. Mit seiner Hauptklage klagt der Kläger Restguthaben aus mehreren Werkverträgen ein, der Beklagte will mit der Widerklage nebst Mietzinsforderungen Schadenersatz wegen Mieterschäden und vorzeitiger Auflösung des Mietvertrages einklagen. Haupt- und Widerklage setzen sich aus mehreren Teilbeträgen zusammen.

Ist die Widerklage kein Sonderfall der objektiven Klagenhäufung, lässt sich der vorliegende Streit entgegen der Auffassung des Klägers nicht gestützt auf § 54 Abs. 1 ZPO entscheiden. Die Zivilprozessordnung regelt denn auch die objektive Klagenhäufung in § 54, die Widerklage in § 55. Zu prüfen ist deshalb, ob § 55 ZPO Widerklage nur zulässt, wenn für sie die gleiche sachliche Zuständigkeit und die gleiche Verfahrensart gilt wie für die Hauptklage. Ein direkter Schluss lässt sich entgegen der Meinung des Klägers (Rekursschrift S. 5f. Ziff. 4) auch nicht aus § 97 ZPO ziehen, wonach das Gericht seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der gewählten Prozessart von Amtes wegen prüft. Ähnlich wie § 15 ZPO ist Widerklage auch dann gestattet, wenn das Gericht der Hauptklage für die Beurteilung der Widerklagebegehren an sich örtlich nicht zuständig wäre, könnte § 55 ZPO die Widerklage auch vom Erfordernis der gleichen sachlichen Zuständigkeit und Verfahrensart entbinden.

5. Diesen Schluss will die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung aus der Entstehungsgeschichte von § 55 ZPO ziehen. Vorbild von § 55 ZPO war bei der Einführung der neuen Zivilprozessordnung im Jahre 1974 § 60 der Zürcher Zivilprozessordnung mit folgendem Wortlaut:

«Widerklage ist zulässig, wenn das Gericht auch für den Gegenanspruch zuständig und für diesen die gleiche Verfahrensart vorgesehen ist. Verändert eine Widerklage wegen des Streitwerts die sachliche Zuständigkeit, so wird der Prozess von Amtes wegen dem zuständigen Gericht zur Weiterführung überwiesen.

Eine beim Gericht rechtshängige Widerklage fällt durch Rückzug oder Anerkennung der Hauptklage nicht dahin.

Das Gericht kann die Widerklage abtrennen, wenn dadurch das Verfahren gefördert wird.»

Bei der Revision 1974 wurden nur die beiden Absätze 2 und 3 aus der Zürcher Vorlage übernommen (vgl. § 55 Abs. 1 und 2 ZPO). Weil – wie erwähnt – in der Praxis immer wieder die Frage auftauchte, was zu geschehen habe, wenn in einem Prozess vor dem Einzelrichter im ordentlichen Verfahren Widerklage in einem die Streitwertkompetenz des Einzelrichters übersteigenden Betrage erhoben werde, wurde bei der Revision im Jahre 1988 der zweite Satz von § 60 Abs. 1 ZPO-ZH als Absatz 3 von § 55 unserer ZPO eingefügt. Es stellt sich also die Frage, weshalb § 60 ZPO-ZH nicht einfach tel quel in unsere Prozessordnung übernommen wurde, ob daraus, dass der Gesetzgeber auf die Übernahme des ersten Satzes von § 60 Abs. 1 ZPO-ZH verzichtete («Widerklage ist zulässig, wenn das Gericht auch für den Gegenanspruch zuständig und für diesen die gleiche Verfahrensart vorgesehen ist.») zu schliessen ist, unsere Prozessordnung wolle die Voraussetzungen der Widerklage abweichend von § 60 Abs. 1 ZPO-ZH regeln und vom Erfordernis der mit der Hauptklage übereinstimmenden sachlichen Zuständigkeit und Verfahrensart dispensieren.

Für diese von der Vorinstanz vertretene Auffassung liessen sich an sich beachtliche Gründe anführen. So könnte etwa argumentiert werden, bei verrechenbaren Gegenansprüchen wirke die Widerklage nach herrschender Meinung als konkludente Verrechnungserklärung; soweit er die Hauptklage gutheisse, komme der Richter nicht darum herum, verrechenbare Widerklagebegehren ohne Rücksicht auf sachliche Zuständigkeit und Verfahrensart zu prüfen (vgl. Guldener, a.a.O., S. 120, Anm. 73; Leuch, N 2 lit. b zu Art. 170 ZPO-BE; Aepli, Vorb. zu Art. 120–126 OR, N 121ff.). Vorliegend hat der Beklagte übrigens ausdrücklich Verrechnungseinrede erhoben. Selbst wenn also die nachfolgenden Überlegungen die Widerklage bei abweichender Zuständigkeit und Verfahrensart ausschliessen, wird das Bezirksgericht, soweit es die Hauptklage schützt, die vom Beklagten widerklageweise geltend gemachten Gegenforderungen aus Mietrecht als Verrechnungsforderungen prüfen müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie liesse sich also durchaus die Ansicht vertreten, für verrechenbare Gegenforderungen sei Widerklage ohne Rücksicht auf die sachliche Zuständigkeit und Verfahrensart zuzulassen. Dabei ergäben sich aber sogleich Abgrenzungsschwierigkeiten, denn auf seiten von Haupt- wie von Widerklage können verrechenbare mit nicht verrechenbaren Ansprüchen kombiniert sein. Widerklage bei abweichender Zuständigkeit und Verfahrensart nur hinsichtlich verrechenbarer Gegenansprüche zuzulassen und sie für nicht verrechenbare Ansprüche abzulehnen, wäre kaum praktikabel. – Für die Auffassung des Bezirksgerichtes könnte auch auf die unterschiedlichen Gerichtsstrukturen der Kantone Zürich und Schwyz verwiesen werden. Der Kanton Zürich schuf für Arbeits- und Mietstreitigkeiten Sondergerichte (Arbeitsgerichte in den Bezirken Zürich und Winterthur, Mietgerichte in allen Bezirken; vgl. § 8f. und § 14 GVG-ZH), der Kanton Schwyz hingegen verweist solche Streitigkeiten in die Zuständigkeit des Einzelrichters im beschleunigten Verfahren. Als Einzelrichter amtet in der Regel der Bezirksgerichtspräsident, er behandelt also die in die Streitwertkompetenz des Einzelrichters fallenden Prozesse des ordentlichen Verfahrens wie auch (ohne Rücksicht auf den Streitwert) die im beschleunigten Verfahren zu erledigenden Prozesse, zudem führt er im ordentlichen Zivilprozess vor Bezirksgericht den Vorsitz. Diese umfassende Tätigkeit könnte zur Annahme verleiten, die Prozessordnung des Kantons Schwyz nehme es mit den Anforderungen an die Widerklage weniger streng und wolle abweichend von der Zivilprozessordnung des Kantons Zürich und anderer Kantone Widerklage ohne Rücksicht auf Zuständigkeit und Verfahrensart gestatten, weil der Bezirksgerichtspräsident ohnehin an allen Zivilprozessen mitwirke und sich demzufolge auch in den Spezialgebieten des Arbeits- und Mietrechtes auskenne. Auch die unterschiedliche Verfahrensart stände dieser Auffassung nicht zwingend entgegen, denn das beschleunigte Verfahren ist nach unserer Prozessordnung nichts anderes als ein ordentliches Verfahren mit rascherer Gangart, d.h. mit gekürzten Fristen; nach § 188 ZPO gelten die Vorschriften des ordentlichen Verfahrens auch für das beschleunigte Verfahren, soweit die Prozessordnung nichts Abweichendes vorsieht, § 49 Abs. 1 betont für das beschleunigte Verfahren die Pflicht zur beförderlichen Prozesserledigung, und § 122 Abs. 2 GO weist den Richter an, im beschleunigten Verfahren Fristen von nicht mehr als 10 Tagen anzusetzen. Im übrigen ist das beschleunigte Verfahren gleich einlässlich wie das ordentliche Verfahren, Inhalt und Ablauf der Verhandlung stimmen überein, Prozessthema und Beweisführung sind nicht beschnitten, und auch das Urteil unterscheidet sich nicht vom Urteil des ordentlichen Verfahrens. Auch dem Umstand, dass vorliegend für die Hauptklage die Dispositions- und Verhandlungsmaximen gelten, während Art. 274 d Abs. 3 OR für Mietstreitigkeiten die Untersuchungsmaxime vorschreibt, kann entscheidende Bedeutung nicht zukommen, denn auch in anderen Prozessen kommen alle diese Maximen für einzelne Fragen nebeneinander zum Zuge (so gelten im gewöhnlichen Zivilprozess die Dispositions- und Verhandlungsmaxime, die Prozessvoraussetzungen hingegen sind nach der Offizialmaxime zu prüfen; Guldener, a.a.O., S. 170). – All diese Überlegungen können aber nur auf der Stufe Bezirksgericht/Einzelrichter gelten, während die Frage, ob die Prozessordnung für Haupt- und Widerklage gleiche sachliche Zuständigkeit und gleiche Verfahrensart vorschreibt, allgemein, für alle denkbaren Konstellationen beantwortet werden muss. Die Zulassung einer Widerklage mit von der Hauptklage abweichender sachlicher Zuständigkeit und anderer Verfahrensart liesse sich aus prozessökonomischen Überlegungen vor allem dann befürworten, wenn – wie vorliegend – die Hauptklage beim Bezirksgericht hängig ist und die Widerklagebegehren an sich beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren anzubringen wären. Aber schon bei umgekehrter Konstellation (Hauptklage beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren/Widerklage im ordentlichen Verfahren mit einem die Einzelrichterkompetenz übersteigenden Streitwert) müsste die Ansicht des Bezirksgerichtes Bedenken erwecken. Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich nicht einwenden, wer bei einem an sich für die Widerklagebegehren sachlich nicht zuständigen Richter Widerklage erhebe, verzichte eben auf die für das betreffende Verfahren geltenden Vorteile, denn auf die sachliche Zuständigkeit oder die Vorteile einer Verfahrensart (darauf etwa, dass eine gewöhnliche Forderungsklage mit 6000 Franken übersteigendem Streitwert nicht vom Einzelrichter, sondern vom Bezirksgericht behandelt werden muss oder dass bei Mietstreitigkeiten die Offizialmaxime anzuwenden ist) können sich beide Parteien berufen, ein einseitiger Verzicht ist nicht möglich, die betreffenden Vorschriften sind von Amtes wegen zu beachten. Undenkbar ist schliesslich, dass die Prozessordnung in Prozessen, die zwingend dem Kantonsgericht als einziger Instanz zugewiesen sind, Widerklagen zulassen wollte, die als selbständige Klage etwa vom Einzelrichter im beschleunigten Verfahren zu beurteilen wären (in einem Patent- oder Urheberrechtsverletzungsprozess beispielsweise eine Widerklage aus Arbeits- oder Mietrecht). All dies zeigt, dass der Gesetzgeber mit der von § 60 ZPO-ZH abweichenden Formulierung von § 55 ZPO nicht vom Erfordernis gleicher sachlicher Zuständigkeit und gleicher Verfahrensart für Haupt- und Widerklage dispensieren wollte. Der Verzicht auf die Übernahme der in § 60 Abs. 1 1. Satz ZPO-ZH enthaltenen Vorschrift (gleiche Zuständigkeit und gleiche Verfahrensart) lässt sich nur damit erklären, dass dieses Erfordernis, das – soweit ersichtlich – in andern Prozessordnungen ebenfalls gilt (vgl. Leuch, N 2d zu Art. 170 ZPO-BE; PKG 1990, Nr. 26 für die Prozessordnung des Kantons Graubünden) und in der Prozessrechtsliteratur unbestritten ist (Guldener, a.a.O., S. 217f.), als selbstverständlich betrachtet wurde. Ganz allgemein sind denn auch Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit und die Verfahrensart streng einzuhalten, soweit die Prozessordnung hievon nicht entbindet. Eine solche Abweichung sieht § 55 Abs. 3 ZPO für die Widerklage im ordentlichen Verfahren vor, wenn deren Streitwert die Kompetenzgrenze des Einzelrichters übersteigt, hingegen findet sich keine Vorschrift, die es zuliesse, eine nach der Natur der Sache umschriebene sachliche Zuständigkeit, wie jene des Einzelrichters im beschleunigten Verfahren für Arbeits- und Mietstreitigkeiten hinsichtlich einer Widerklage ausser acht zu lassen. Auch für unsere Prozessordnung gilt deshalb, dass zwischen Klagen, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit, und solchen, die einer Sondergerichtsbarkeit unterstehen, selbst bei Konnexität oder Verrechenbarkeit der Ansprüche, Widerklage ausgeschlossen ist, da § 15 ZPO sich nur auf die örtliche Zuständigkeit bezieht (Sträuli/Messmer, N 8 zu § 60 ZPO-ZH). Der gleiche Schluss drängt sich übrigens auch aus § 54 Abs. 1 ZPO auf, der zwar, wie ausgeführt, vorliegend nicht direkt anwendbar ist. Hätte der Kläger neben seinen Forderungen aus Werkvertrag noch Forderungen aus dem Mietverhältnis eingeklagt,hätte das Bezirksgericht nach derklarenVorschriftvon §54 Abs.1 ZPO (objektive Klagenhäufung) auf die aus dem Mietvertrag hergeleiteten Klagebegehren nicht eintreten dürfen, weil hiefür eine andere sachliche Zuständigkeit und eine andere Verfahrensart vorgeschrieben ist. Überlegungen prozessökonomischer Art vermöchten hieran nichts zu ändern. Wäre es die Absicht des Prozessrechtgesetzgebers gewesen, hinsichtlich der Widerklage im Interesse der Prozessökonomie vom Erfordernis gleicher sachlicher Zuständigkeit und gleicher Verfahrensart abzusehen, so hätte er konsequenterweise auch in § 54 Abs. 1 ZPO auf diese Voraussetzungen verzichtet.

Schreibt demnach auch unsere Prozessordnung für Haupt- und Widerklage gleiche sachliche Zuständigkeit und gleiche Verfahrensart vor, durfte das Bezirksgericht auf die Widerklage nicht eintreten.

(Beschluss vom 17. November 1994; KG 149/94 RK 1).

 

33

Zivilprozessrecht

– Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für einen Rechtsanwalt?

Aus dem Sachverhalt:

Der Sohn von Rechtsanwalt Y. machte eine Unterhaltsklage im Sinne von Art. 279 ZGB gegen Y. hängig. Dieser verfasste die Klageantwortschrift selber.

Aufgefordert, eine Duplik einzureichen, stellte Y. verschiedene Erstreckungsgesuche, unter anderem mit der Begründung: Terminliche Belastung mit anderen Pendenzen, Überlastung der Kanzlei, «vorweihnächtliche» Überlastung mit Terminen.

Schliesslich reichte Rechtsanwalt Z. als Vertreter von Y. eine Duplikschrift ein und stellte den Antrag, dem Beklagten in der Person des Unterzeichneten einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu ernennen. Nebst dem Hinweis auf die finanzielle Situation von Y. schrieb Rechtsanwalt Z.: «Natürlich hat der Beklagte als Anwalt die Kenntnisse, um ein solches Verfahren selbst zu führen. Nachdem er aber in unerhörter Art und Weise selbst angegriffen wird, ist es für ihn nicht zumutbar, sich allein dagegen zu wehren».

Aus den Erwägungen:

Der Gesuchsteller ist seit über einem Dutzend Jahren Rechtsanwalt, und erklärtermassen besitzt er die Kenntnisse, um den Prozess zu führen. Der Prozess ist relativ einfach. Die Gegenpartei ist nicht durch einen Anwalt vertreten. Der Gesuchsteller war denn auch durchaus imstande, eine Klageantwortschrift zu verfassen und diverse Fristerstreckungsgesuche für die Duplik zu stellen. Der Gesuchsteller macht sinngemäss geltend, er sei psychisch nicht in der Lage, sich selbst zu vertreten, weil er in unerhörter Art und Weise persönlich angegriffen worden sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Replikschrift in sehr anständigem Ton gehalten ist. Die Vorhalte sind konkretisiert, in sachlicher Form und ganz und gar nicht in verletzender oder sogar ehrverletzender Form erfolgt. Ein normaler Durchschnittsbürger sollte imstande sein, auf solche Vorhalte tatsächlicher Natur selbst zu antworten. Um so mehr darf dies von einem Anwalt erwartet werden, welcher von Berufs wegen einiges zu hören und zu lesen bekommt. Das Gesuch ist somit abzuweisen, ohne dass die finanzielle Lage des Gesuchstellers zu prüfen ist.

Rein eventualiter ist zu bemerken, dass in der Regel nur ein schwyzerischer Anwalt zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt wird.

(Entscheid Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 28. Januar 1994, ER 17–8/93).

 

34

Strafrecht

– Absolutes Verbot der harten Pornographie, Eventualvorsatz.

Aus dem Sachverhalt:

Mit Anklageschrift vom 26.5.1994 klagte das Bezirksamt X. an:

«der Pornographie im Sinne von Art. 197 Ziff. 3 StGB,

begangen dadurch, dass er pornographische Ton- und Bildaufnahmen, die sexuelle Handlungen mit menschlichen Ausscheidungen zum Inhalt haben, eingeführt und gelagert hat…»

Aus den Erwägungen:

Um einer Verrohung auf dem Gebiet der Sexualität vorzubeugen, verbietet das Gesetz in absoluter Weise zehn verschiedene Verhaltensweisen (vgl. Art. 197 Ziff. 3 Abs. 1 StGB), die in irgendeiner Weise dazu dienen, jemandem bestimmte pornographische Darstellungen zugänglich zu machen oder nur schon entsprechende Aktivitäten vorzubereiten (Rehberg, Das revidierte Sexualstrafrecht, im AJP 1/93, S. 29). Es handelt sich um ein absolutes Verbot von Vorbereitungs- und Verletzungshandlungen (Botschaft des Bundesrates vom 10.9.1985, im BBl Nr. 35 vom 10.9.1984, S. 1091). Dieses absolute Verbot erfährt grundsätzlich nur insofern eine Einschränkung, als an sich pornographische Darstellungen, welche einen schutzwürdigen, kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben, von Gesetzes wegen nicht pornographisch sind (Art. 197 Ziff. 5 StGB).

Es ist seitens des Angeklagten unbestritten, dass sich unter der fraglichen Lieferung 9 Videokassetten mit Sequenzen befanden, welche sexuelle Handlungen mit menschlichen Ausscheidungen zum Inhalt haben. Ebenfalls unbestritten ist, dass der Angeklagte diese Filme eingeführt und in X. gelagert hat. Der objektive Tatbestand von Art. 197 Ziff. 3 Abs. 1 StGB ist zweifellos erfüllt.

Der Angeklagte bestreitet hingegen, dass er diese Filme vorsätzlich oder eventualvorsätzlich eingeführt und gelagert habe. Er macht geltend, er habe der Lieferfirma in Deutschland gegenüber erklärt, dass gewisse Inhalte bzw. Szenen, insbesondere solche um sexuelle Handlungen mit menschlichen Ausscheidungen, in der Schweiz verboten seien. Er habe auch nicht ausdrücklich Videos mit den betreffenden Szenen bestellt. Solche würden durch die Firma denn auch nicht wissentlich geliefert. Die Filmtitel hätten nicht immer etwas mit dem Inhalt zu tun. All dies werde seitens der Lieferfirma bestätigt. Es sei offensichtlich, dass er keinesfalls wissentlich und willentlich Videokassetten, die sexuelle Handlungen mit menschlichen Ausscheidungen beinhalten, eingeführt habe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er Kenntnis von den fraglichen Szenen hätte haben können bzw. müssen. Da die Filmtitel nicht den Inhalt des Filmes wiedergäben bzw. andeuten würden, lasse sich aus den Fantasietiteln keinesfalls zuverlässig auf den Filminhalt schliessen. Er setze alles daran, gerade Filme mit solchen Szenen nicht auf den Markt zu bringen.

Gemäss eigenen Angaben bestellte der Angeklagte die fraglichen Videos telefonisch aufgrund einer Titelliste. Bereits bei der Bestellung hätte dem Angeklagten als professionellem Händler auffallen müssen, dass gewisse Titel auf Sequenzen mit Urinier-Szenen hinweisen, z.B. «Feuchte Kneipenspiele» oder «Wet Rides». Trotzdem hat er diese Titel bestellt.

Ebenfalls nach eigenen Angaben war sich der Angeklagte bewusst, dass in den Filmen der Lieferfirma ab und zu Szenen mit menschlichen Ausscheidungen enthalten sind. Er rechnet denn auch mit solchen Inhalten, gibt er doch an, dass er speziell einen Angestellten beschäftige, welcher die Filme sichte und schneide. Falls ein Film extrem lange Urinier-Szenen enthalte, erwerbe er den Film nicht. Diese Filme würden vielmehr zurück nach Deutschland geschickt. Es seien schon Hunderte von Kassetten nach Deutschland zurückgesandt worden, da sie nicht konform gewesen seien. Filme mit solchen Szenen bis zu fünf Minuten würden hingegen auf seinem Schnittsystem herausgeschnitten.

Aufgrund der Äusserungen des Angeklagten ist erstellt, dass er zumindest in Kauf nahm, dass Filme, welche er einführt und lagert, Szenen mit menschlichen Ausscheidungen enthalten. Damit ist der subjektive Tatbestand des Art. 197 Ziff. 3 Abs. 1 StGB im Sinne des Eventualvorsatzes erfüllt.

Nicht zu entlasten vermag den Angeklagten, dass diese Filme ihm als Muster geliefert werden, dass er nicht konforme Filme zurückschickt oder die fraglichen Szenen herausschneidet, bevor er sie zum Verkauf anbietet. Das Gesetz verbietet in absoluter Weise bereits das Einführen und Lagern solcher Filme unabhängig davon, was anschliessend mit den Filmen geschieht, d.h. ob sie retourniert oder vor dem Verkauf geschnitten werden. Es würde einer Privilegierung gleichkommen, wenn einem professionellen Händler die Einfuhr und das Lagern dieser Filme zur Sichtung und zum Schnitt erlaubt wäre, währenddem jeder andere, der einen solchen Film einführt, sich strafbar macht.

(Urteil des Bezirksgerichtes Höfe vom 7. Juli 1994, BG 9/94 5).

 

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Strafprozessrecht

– Revision; § 157 StPO.

Aus dem Sachverhalt:

A. – Mit Strafverfügung vom 26. Mai 1992 verurteilte das Bezirksamt die Gesuchstellerin wegen Übertretung von Art. 4a VRV in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG zu Fr. 180.– Busse und den Kosten, weil sie auf dem Autobahnabschnitt der N4 bei Arth die dort signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 23 km/h überschritten hatte.

B. – Im September 1994 erschienen Zeitungsberichte, das Bezirksamt habe in einem analogen Fall das Strafverfahren wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit mit der Begründung eingestellt, nachträgliche Abklärungen hätten ergeben, die im Abschnitt Engiberg- bis Schöneggtunnel der N4 in Arth signalisierte Geschwindigkeitsbeschränkung sei von der zuständigen Behörde nicht formell angeordnet und im Bundesblatt nie publiziert worden.

Gestützt auf diese Presseberichte verlangt die Gesuchstellerin mit Eingabe vom 25. November 1994 die Revision der sie betreffenden Strafverfügung. Sie beantragt, die Strafverfügung aufzuheben, ihr Busse und Kosten zurückzuerstatten und allfällige Registereinträge löschen zu lassen.

Aus den Erwägungen:

1. Nach § 157 lit. a StPO kann ein rechtskräftig erledigtes Strafverfahren zugunsten des Verurteilten jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweise vorliegen, die der entscheidenden Behörde zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren und die allein oder in Verbindung mit einer früher festgestellten Tatsache geeignet sind, einen Freispruch oder eine mildere Beurteilung herbeizuführen. Diese Bestimmung entspricht der Minimalvorschrift von Art. 397 StGB.

Das Revisionsgesuch ist beim Kantonsgericht einzureichen (§ 157c Abs. 1 StPO). Betrifft es einen Strafbefehl oder eine Strafverfügung, entscheidet der Kantonsgerichtspräsident über das Gesuch (§ 157 f Abs. 2 StPO).

2. Die Gesuchstellerin begründet ihr Revisionsbegehren sinngemäss damit, das Bezirksamt habe erst nach Abschluss des gegen sie gerichteten Strafverfahrens entdeckt, dass die auf dem fraglichen Teilstück der N4 bei Arth signalisierte Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h nie bewilligt und im Bundesblatt nie publiziert worden, also ungültig sei, und dass deshalb die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h gelte. Sinngemäss beruft sich die Gesuchstellerin damit auf den Revisionsgrund der Entdeckung neuer Tatsachen im Sinne von § 157 lit. a StPO und Art. 397 StGB. Es stellt sich die Frage, ob die Ungültigkeit einer signalisierten Geschwindigkeitsbeschränkung eine «Tatsache» im Sinne dieser Revisionsbestimmungen ist.

Dem Wortlaut der beiden Revisionsvorschriften lässt sich die Antwort nicht eindeutig entnehmen. § 157 lit. a StPO spricht von «Tatsachen…, die der entscheidenden Behörde zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren» und die geeignet seien, einen Freispruch oder eine mildere Beurteilung herbeizuführen. Und Art. 397 StGB, der im Sinne einer Minimalgarantie einen selbständigen bundesrechtlichen Revisionsgrund zugunsten des Verurteilten aufstellt (BGE 116/1990 IV 359 E. 4b) schreibt den Kantonen vor, die Revision wegen «erheblicher Tatsachen», die dem Sachrichter zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, zuzulassen. Unklar bleibt, ob für das Revisionsverfahren alle Tatsachen in Betracht fallen, die der Beschuldigte im Erkenntnisverfahren (vor dem Sachrichter) hätte vorbringen können, oder ob die Revisionsvorschriften eine bestimmte Kategorie von Tatsachen voraussetzen. Vor dem Sachrichter kann der Beschuldigte, dem die Missachtung eines Höchstgeschwindigkeitssignals vorgeworfen wird, beispielsweise geltend machen, er habe die signalisierte Geschwindigkeit nicht überschritten bzw. nicht er, sondern eine andere Person habe das Auto gelenkt. In diesem Falle bestreitet er den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, d.h. – in der Rechtssprache ausgedrückt – den Tatbestand als Inbegriff der Tatsachen, an deren Vorhandensein das Gesetz die Rechtsfolge knüpft (Tatbestandselemente oder Tatbestandsmerkmale). Alsdann hat der Richter eine oder mehrere Tatfragen abzuklären. Oder der Beschuldigte kann Tatsachen einwenden, die die Rechtsgrundlage, die Gesetzmässigkeit der betreffenden Strafnorm in Zweifel ziehen. Er kann beispielsweise (als «negative Tatsache») behaupten, die Strafnorm, deren Verletzung ihm vorgeworfen wird, sei nie in Kraft gesetzt bzw. in der massgebenden Gesetzessammlung nie verkündet worden. Ähnlich kann er bei Übertretung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit geltend machen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit (Art. 32 Abs. 2 SVG und Art. 108 Abs. 1 SSV) seien nicht erfüllt, oder die Tempolimite sei überhaupt nicht oder nicht rechtsgültig angeordnet worden, beispielsweise fehle das nach Art. 32 Abs. 4 SVG vorgeschriebene Gutachten (vgl. dazu BGE 113/1987 lV 123ff. = Pra 77 Nr. 24) oder die zuständige Behörde habe das Signal nicht bewilligt bzw. die Beschränkung nicht vorschriftsgemäss veröffentlicht. Solche Einwände betreffen nicht Tat- sondern Rechtsfragen. Es lassen sich also zwei Arten von Tatsachen unterscheiden: solche, die zum Tatbestand der Strafnorm gehören (Tatbestandselemente) und solche, die Voraussetzung ihrer Gültigkeit bzw. der Rechtmässigkeit einer bestimmten Anordnung sind, oder kurz gesagt: Tatsachen, die Tatfragen betreffen und solche, die Rechtsfragen betreffen.

Die Strafprozessliteratur unterscheidet allerdings bei der Behandlung der Revisionsgründe zuwenig klar zwischen beiden Arten von Tatsachen, und sie sagt insbesondere nicht deutlich, ob als Revisionsgrund nur Tatsachen der ersten Art oder beider Arten in Betracht fallen. Hauser, Kurzlehrbuch des Schweiz. Strafprozessrechts, 2. Aufl. 1984, S. 299, bezeichnet als Tatsachen «alle Umstände, die im Rahmen des dem Urteil zugrunde gelegten Sachverhaltes von Bedeutung und geeignet sind, ihn in einem anderen, für den Verurteilten günstigeren Lichte erscheinen zu lassen» (Haupttatsachen, Indizien, Hilfstatsachen). Die Formulierung, die neuen Tatsachen müssten «im Rahmen des dem Urteil zugrunde gelegten Sachverhaltes» relevant sein, scheint immerhin anzudeuten, dass Hauser als Revisionsgrund nur Tatsachen anerkennt, die Tatfragen (Tatbestandsmerkmale) betreffen. In diesem Sinne dürfte auch die kurze Formulierung bei Trechsel, Kurzkommentar 1989, N 7 zu Art. 397 StGB, zu verstehen sein: «Tatsache ist alles, was Gegenstand der Beweisführung bildet». Denn Beweis wird nur zu Tatfragen abgenommen (Täterschaft, Tatbestandsmässigkeit, Rechtfertigungsgründe, Schuld), Rechtsfragen (wie die Gültigkeit einer Strafnorm oder die Gesetzmässigkeit eines Verkehrssignals) prüft der Richter von Amtes wegen, soweit hiezu Anlass besteht. – Zwischen den verschiedenen Arten von Tatsachen scheint hingegen Clerc (Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten, Art. 397 StGB, SJK Nr. 955, S. 6 Ziff. 22) zu differenzieren. Auch er subsumiert unter den «Begriff der Tatsache» jeden Umstand, «der im Rahmen des dem Urteil zugrunde gelegten Sachverhalts von Belang sein kann», fährt dann aber fort: «Wenn auch eine rechtliche Tatsache unzweifelhaft eine Tatsache ist, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Revision nur gegeben ist zur Korrektur eines Tatsachenirrtums und nicht zur Verbesserung eines auf falschen rechtlichen Überlegungen beruhenden Urteils». Unter «rechtlichen Tatsachen», die nicht zur Revision berechtigen, versteht Clerc offensichtlich Tatsachen, die Rechtsfragen betreffen.

Eine klare Antwort auf die hier gestellte Frage gibt hingegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung. Bereits BGE 75/1949 IV 181ff. hielt (auf S. 184) fest:

«Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 397 StGB ist nur zulässig, wenn das Urteil von einem Tatbestande ausgeht, der sich nachträglich als unrichtig erweist.»

Und in BGE 116/1990 IV 356 E. 2 betonte das Bundesgericht wiederum, neue Tatsachen oder Beweismittel berechtigten zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 397 StGB nur dann, wenn sie geeignet seien, «die Beweisgrundlage des früheren Urteils so zu erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich milderes Urteil möglich ist», die Revision ziele auf eine «Veränderung der tatsächlichen Grundlagen» des Urteils ab.

Der Einwand der Gesuchstellerin, die auf dem Autobahnabschnitt der N4 bei Arth mit 100 km/h signalisierte Höchstgeschwindigkeit sei aus formellen Gründen nicht rechtsgültig, betrifft keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage, also keine neue Tatsache im Sinne der Revisionsvorschriften. Schon aus diesem Grunde ist das Revisionsgesuch abzuweisen. In gleichem Sinne entschied übrigens auch das Genfer Appellationsgericht bezüglich einer vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement nicht bewilligten Geschwindigkeitsbeschränkung («Die Wiederaufnahme ist nur zulässig für Korrekturen von Tatfragen, nicht für Korrekturen von Rechtsfragen in einem Urteil»; RStrS 1986, Nr. 133).

3. Selbst wenn aber die von der Gesuchstellerin geltend gemachte Ungültigkeit des Höchstgeschwindigkeitssignals eine Tatsache im Sinne von § 157 lit. a StPO und Art. 397 StGB wäre, müsste das Revisionsgesuch abgewiesen werden. Denn die Ungültigkeit des Signals könnte vorliegend weder zu einem Freispruch noch zur Reduktion der Busse führen, sie wäre nicht «erheblich» im Sinne der Revisionsvorschriften. Zwar ist der Strafrichter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes befugt, Verkehrssignale, bei denen es sich rechtlich um Verwaltungsverfügungen, sog. Allgemeinverfügungen handelt, auf ihre Rechtmässigkeit hin zu überprüfen. Soll auf einem Strassenabschnitt eine von der gesetzlichen Höchstgeschwindigkeit abweichende höchstzulässige Geschwindigkeit signalisiert werden, darf eine solche Anordnung nur von der zuständigen Behörde im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen und unter Beachtung des vorgeschriebenen Verfahrens getroffen werden. Doch selbst schwerwiegende Verfahrensmängel führen nur dann zur Nichtigkeit (Unbeachtlichkeit) des Höchstgeschwindigkeitssignals, wenn dadurch die Rechtssicherheit nicht beeinträchtigt wird. In BGE 113/1987 IV 123ff. (= Pra 77 Nr. 24) betonte das Bundesgericht:

«Die Rechtssicherheit ist im Strassenverkehrsrecht von besonderem Gewicht. Daher kann eine Geschwindigkeitsbeschränkung, welche mit schweren Mängeln behaftet ist, nur in Ausnahmefällen als nichtig betrachtet werden. Dort, wo die Nichtigkeit eines Strassenverkehrszeichens nicht für jeden Strassenbenützer ohne weiteres erkennbar ist, besteht ein eminentes öffentliches Interesse daran, dass sich die Fahrzeugführer im Strassenverkehr an die Ordnung halten, wie sie aus der Signalisation hervorgeht. Dass einzelne Strassenbenützer ein Signal nicht beachten, weil sie von dessen Nichtigkeit ausgehen, kann für andere besondere Gefahren mit sich bringen. Denn wer auf die Gültigkeit einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit vertraut, läuft Gefahr, die Geschwindigkeit der anderen Strassenbenützer, die diese nicht beachten, unrichtig einzuschätzen. Dies kann falsche Reaktionen auslösen, was gerade im Bereich von Tunnels, Brücken usw. zu schweren Verkehrsunfällen führen könnte.»

Diese Überlegungen des Bundesgerichtes treffen auf den vorliegenden Fall Punkt für Punkt zu. Das Teilstück der N4 im Abschnitt Engiberg- bis Schöneggtunnel, auf dem die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h signalisiert ist, birgt eine Reihe besonderer Gefahren in sich, weil es mit zahlreichen Kurven durch zwei Tunnels und über Viadukte führt; dadurch sind die Sichtverhältnisse eingeschränkt, zudem besteht im Winter erhebliche Glatteisgefahr, bei Unfällen auf den Viadukten sogar Absturzgefahr. Empfindlich verschärft werden diese Gefahrenmomente durch den reduzierten Ausbaugrad des Autobahnabschnittes (kein Pannenstreifen in den Tunnels, bloss schmaler Pannenstreifen im Bereich der beiden Brücken). Die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h drängt sich in diesem Abschnitt zwingend auf.

Zuzugeben ist, dass bei der Anordnung der umstrittenen Geschwindigkeitsbeschränkung Formfehler unterliefen. Zuständig zum Erlass von örtlich abweichenden Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Nationalstrassen war bis Ende 1976 das Eidgenössische Departement des Innern, ab 1. Januar 1977 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Art. 32 Abs. 3 SVG lautete in der Fassung vom 20. März 1975 (in Kraft seit 1. Januar 1977):

«Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen kantonalen Behörde und auf den Nationalstrassen vom EJPD herab- oder hinaufgesetzt werden.»

Erst mit der Neufassung von Art. 32 Abs. 3 SVG (in Kraft seit 15. März 1992) ging die Zuständigkeit auch für Nationalstrassen auf die kantonale Strassenbehörde über. Das Eidg. Departement des Innern, das – wie ausgeführt – bis Ende 1976 für die Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen zuständig war, hatte das ihm vorgelegte Signalisationsprojekt für das Schwyzer Teilstück der N4 zwar genehmigt, jedoch für den Erlass der formellen Verfügung mit Schreiben vom 5. Februar 1976 noch einen entsprechenden Antrag des Regierungsrates angefordert. Anscheinend unterblieb versehentlich ein solcher Antrag, doch ändert dies nichts daran, dass das EJPD ab 1. Januar 1977 allein zuständig und verpflichtet war, die erforderliche Signalisation anzuordnen. Unbestritten war das Höchstgeschwindigkeitssignal schon bei der Inbetriebnahme des Autobahnabschnittes am 3. Mai 1978 angebracht, und seither blieb es – während mehr als 16 Jahren – unangefochten stehen. Wenn das EJPD dagegen nicht einschritt, obwohl es vom Signal Kenntnis hatte, läuft dies faktisch auf eine Genehmigung, eine entsprechende Anordnung hinaus. Ein Formmangel liegt nur insoweit vor, als die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h nicht im Bundesblatt publiziert und damit der Beschwerdeweg geöffnet wurde. Dem ist aber beizufügen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art. 48 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren nur Personen zukommt, die von der betreffenden Anordnung «berührt» sind, davon also in besonderem Masse betroffen werden; die Popularbeschwerde ist ausgeschlossen (vgl. Saladin, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, 1979, S. 174f.). Als im Sinne von Art. 48 VwVG spezifisch Betroffene kommen im Falle einer Strassenverkehrssignalisation nebst bestimmten Verbänden oder kommunalen Behörden nur Personen in Frage, die regelmässig am betreffenden Ort verkehren (vgl. Knapp, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 4. Aufl. 1992, Nr. 685, S. 206). Diese beschwerdelegitimierten Personen, Behörden oder Organisationen haben seit Eröffnung des Autobahnabschnittes im Jahre 1978 vom Signal Kenntnis; sie hätten auch nachträglich noch Verwaltungsbeschwerde führen können (Art. 24 VwVG), verzichteten aber auf die Anfechtung, fanden sich also mit der signalisierten Höchstgeschwindigkeit zu Recht ab. Selbst wenn das Signal mit einem Formmangel behaftet ist, handelt es sich nicht um einen «besonders schwerwiegenden Mangel» im Sinne der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Der Mangel hat nicht Nichtigkeit zur Folge, die Gesuchstellerin war nicht befugt, die signalisierte Höchstgeschwindigkeit zu missachten, sie wurde zu Recht gebüsst.

(Verfügung vom 15. Dezember 1994; KG 491/94 GP).

 

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Strafprozessrecht

– Verfolgungsverjährung bei Nichtigkeitsbeschwerde.

Aus den Erwägungen:

2. Die vorliegend zu beurteilende Übertretung verjährt nach Ablauf von zwei Jahren absolut (Art. 109 in Verbindung mit Art. 72 Ziff. 2 Abs.2 StGB). Die Verjährung war daher bereits eingetreten, als die Nichtigkeitsbeschwerde am 17. September 1993 beim Kantonsgericht eingetroffen ist. Der Beschwerdeführer hat sich denn auch auf die Geltendmachung der Verjährung konzentriert. Der Staatsanwalt macht demgegenüber – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz – geltend, die erstinstanzliche Ausfällung des Urteiles sei innerhalb der Verfolgungsverjährung erfolgt. Die schwyzerische Nichtigkeitsbeschwerde sei analog der zürcherischen als ausserordentliches Rechtsmittel ausgestaltet. Sie habe grundsätzlich kassatorische und nicht reformatorische Wirkung. Für solche ausserordentlichen Rechtsmittel habe das Bundesgericht erklärt, dass diese die Verfolgungsverjährung nicht in Gang setzten (BGE 111 IV 91). Das erstinstanzliche Urteil sei demnach in Rechtskraft erwachsen, weshalb der nach Ausfällung des Urteils erfolgte Verjährungseintritt der Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht entgegen stehe.

a) Verfolgungsverjährung (Art. 70ff. StGB) bedeutet die Verjährung des Strafanspruches vor seiner rechtskräftigen Feststellung. In diesem Sinne hat es das Bundesgericht für die Beantwortung der Frage, ob ein erstinstanzliches kantonales Urteil den Lauf der Verfolgungsverjährung beende, als massgeblich erachtet, ob dieses in formelle Rechtskraft erwachse; denn das Ende der Verfolgungsverjährung hänge nicht von der Vollstreckbarkeit des Urteils, sondern von dessen formeller Rechtskraft ab. Diese Rechtskraft trete ein, wenn das unterinstanzliche kantonale Urteil nur noch mit einem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten werden könne. Ein solches ausserordentliches Rechtsmittel sei gegeben, wenn ihm überwiegend der Devolutiveffekt abgehe. Entscheidend sei dabei der Umfang der oberinstanzlichen Kognitionsbefugnis. Diese werde durch das kantonale Verfahrensrecht bestimmt (BGE 111 IV 91 E. 3b mit weiteren Hinweisen).

b) Ausschlaggebend ist somit die Frage, ob das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen ist. Dies ist nach der schwyzerischen Strafprozessordnung klar zu verneinen. Gemäss § 57 Abs. 2 StPO tritt die (formelle) Rechtskraft, wenn Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde zulässig ist, erst auf den Zeitpunkt des unbenützten Ablaufes der Rechtsmittelfrist oder des Rückzuges des Rechtsmittels ein. Die strafprozessuale Nichtigkeitsbeschwerde stellt somit gemäss ausdrücklicher, gesetzlicher Normierung ein ordentliches Rechtsmittel dar; sie richtet sich gegen ein noch nicht in Rechtskraft erwachsenes Urteil und hemmt den Eintritt von Rechtskraft und Vollstreckbarkeit im Umfange der Beschwerdeanträge. An dieser Ausgestaltung der Nichtigkeitsbeschwerde vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass ihr nur ein beschränkter Devolutiveffekt zukommt (§ 156 StPO) und sie keine freie und volle Überprüfung des Prozessstoffes zulässt (§ 152 StPO). Diese Kriterien stellen lediglich Hilfsmittel zur Abgrenzung von ordentlichen und ausserordentlichen Rechtsmitteln dar, wenn die Qualifizierung unklar ist. Wo der Gesetzgeber aber klar und eindeutig legiferiert hat, bedarf es keiner Auslegung mehr.

c) Auch ein Vergleich mit der zivilprozessualen Nichtigkeitsbeschwerde unterstreicht die unterschiedliche Ausgestaltung der strafprozessualen Ordnung. Gemäss der analogen Bestimmung in § 163 ZPO hemmen im Zivilprozess nur Berufung und Rekurs die Rechtskraft, nicht aber die Nichtigkeitsbeschwerde. Sie gilt deshalb anerkanntermassen als ausserordentliches Rechtsmittel. Demgegenüber kommt im Strafprozess der Nichtigkeitsbeschwerde hinsichtlich Rechtskraft die gleiche Wirkung wie der Berufung zu (§ 57 Abs. 2 StPO). Somit bildet die strafprozessuale Nichtigkeitsbeschwerde wie die Berufung einen Teil der Strafverfolgung, weshalb sie trotz beschränkter Kognition usw. ein ordentliches Rechtsmittel darstellt. An der bisherigen Praxis des Kantonsgerichts, wonach nach Eintritt der Verfolgungsverjährung der Erlass eines Kassationsurteils unzulässig ist, ist deshalb festzuhalten.

Die Praxis des Bundesgerichtes zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (BGE 105 IV 307) und zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Kantone Zürich (BGE 111 IV 87) und Neuenburg (BGE 105 IV 98) vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Sie ist für den Kanton Schwyz nicht bindend, da sich die relevante Frage, wann die Rechtskraft von Entscheiden im kantonalen Verfahren eintritt, nach kantonalem Recht bestimmt (BGE 105 IV 100 E. 2c; 111 IV 91 E. 3c).

(Beschluss vom 1. Februar 1994; KG 318/93 RK 2).

 

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Strafprozessrecht

– Rechtsbehelfe bei Einziehung von Vermögenswerten.

Aus dem Sachverhalt:

A.– Der Gemeinderat A. erteilte dem X. die Baubewilligung zur Erstellung eines Magazins mit Wohnbaute und drei Fertiggaragen. Die Bewilligung umfasste den Einbau einer Wohnung. Stattdessen führte der Beschwerdeführer eine 41/2-, eine 31/2- und zwei 1-Zimmer-Wohnungen aus. Am … erstattete der Gemeinderat Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Verstosses gegen § 92 PBG. In der Strafuntersuchung bestritt der Angeschuldigte nicht, die Nutzung der Wohnbaute in Missachtung der Baubewilligung verändert zu haben.

B.– Da der Übertretungstatbestand von § 92 PBG verjährt war, erliess das Bezirksamt nach durchgeführter Untersuchung folgende Verfügung:

« 1. Das Strafverfahren gegen X. wird im Sinne der Erwägungen eingestellt.

2. X. hat dem Staat gemäss Art. 58 Abs. 4 StGB eine Ersatzforderungvon Fr. 32400.– zu leisten.

3. Es werden keine Kosten erhoben.

4. Gegen diese Verfügung kann innert 10 Tagen seit deren Zustellung bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 560, 6430 Schwyz, schriftlich mit Antrag und Begründung Beschwerde erhoben werden (§ 140 StPO).»

Gegen diese Verfügung reichte X. Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft ein mit dem Antrag, die verfügte Ersatzforderung sei aufzuheben, da er durch die Umnutzung keinen Mehrwert erzielt habe. Mit Verfügung vom … wies die Staatsanwaltschaft die Beschwerde ab und überband dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten von Fr. 240.–.

C.– Innert Frist erhob X. Beschwerde beim Kantonsgericht mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und auf eine Ersatzforderung zu verzichten. Die Staatsanwaltschaft trug auf Abweisung der Beschwerde an. Auf die Parteivorbringen wird – soweit für die Beurteilung erforderlich – in den Erwägungen eingegangen.

Aus den Ewägungen:

1. Die Einstellung des Strafverfahrens infolge Eintritts der Verfolgungsverjährung ist unbestritten und bildet nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Ersatzforderung von Fr. 32400.– für unrechtmässig erlangte Mietzinseinnahmen, die dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 58 Abs. 4 StGB auferlegt worden ist. Beide Vorinstanzen gaben als Rechtsmittel gegen ihre Verfügungen die Beschwerde nach § 140 StPO an, ohne diesen Rechtsweg näher zu begründen. Es ist deshalb vorab zu prüfen, mit welchem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf eine Einziehung nach Art. 58 StGB anzufechten ist, wenn diese neben einer Verfahrenseinstellung verfügt wird.

2. Gemäss § 105 StPO steht die Strafverfolgung wegen Übertretungen den Untersuchungsrichtern der Bezirke zu. Diese erlassen eine Strafverfügung, sofern sie die Übertretung nicht durch eine auf der Stelle erhobene Busse als genügend geahndet erachten. Gegen die Strafverfügung können «der Bestrafte und der Staatsanwalt» innert zehn Tagen Einsprache beim Untersuchungsrichter erheben. Hält dieser an der Bestrafung fest, überweist er sie als Anklage dem Einzelrichter (§§ 109ff. StPO). Liegt indessen kein Grund zur weiteren Verfolgung vor, z.B. infolge Verjährung des Übertretungstatbestandes, wird die Untersuchung durch den Untersuchungsrichter unter Kenntnisgabe an die Parteien eingestellt
(§ 106 in Verb. mit § 70 StPO). Wie zu verfahren ist, wenn bei Einstellung des Strafverfahrens die Voraussetzungen einer Einziehung nach Art. 58 StGB erfüllt sind, sagt das Gesetz indessen nicht.

3. Wird die Einziehung von Vermögenswerten erforderlich, kann aber der Täter nicht oder nicht mehr vor den Richter gestellt werden, so ist ein eigentlicher Strafprozess nicht möglich, weil ein Beschuldigter fehlt. Ein besonderes, in den strafprozessualen Rahmen eingefügtes objektives Verfahren für die sog. selbständige Einziehung kennt weder das eidgenössische Recht noch das Schwyzer Prozessrecht. Auch die meisten anderen Kantone kennen – soweit ersichtlich – kein selbständiges Einziehungsverfahren, mit Ausnahme der Kantone Basel-Stadt und Waadt. Gemäss § 99 Abs. 2 StPO-BS wird der Antrag auf Konfiskation beim Richter durch den Staatsanwalt, den Privatkläger oder den Verzeiger gestellt. Für das Verfahren sind die Bestimmungen über das Hauptverfahren anwendbar; die sachliche Zuständigkeit liegt beim Einzelrichter (vgl. dazu ZR 82 1983, S. 176). In analoger Form besteht die Regelung im Kanton Waadt (Art. 482 StPO-VD). Im Kanton Genf wurden Einziehungen nach Art. 58ff. StGB demgegenüber vom Generalprokurator verfügt, was vom Bundesgericht indessen als bundesrechtswidrig erklärt worden ist (BGE 108 IV 154ff.). Seither wird auch in diesem Kanton die Einziehung von einem Richter beurteilt, in Analogie zum Verwaltungsstrafrecht des Bundes, in welchem dem Betroffenen ausdrücklich ermöglicht wird, gegen den (selbständigen) Einziehungsbescheid der Verwaltung Einsprache zu erheben (Art. 67 VStG) und die gerichtliche Beurteilung zu verlangen (Art. 72 VStG) (vgl. den Hinweis in SJK 73, S. 35 Fn 157). Im Kanton Zürich wurde unter der alten Strafprozessordnung, die noch keine Normen für das selbständige Einziehungsverfahren kannte, der Einziehungsentscheid ebenfalls dem Richter zugewiesen (ZR 82 1983 S. 178). In der Novelle vom 1. September 1991 ist dieser Entscheid inzwischen ausdrücklich dem Richter vorbehalten worden (§§ 106a und 106b StPO-ZH). In der Doktrin schliesslich wird mehrheitlich festgestellt, dass die Entscheidung über die Einziehung allein dem objektiven und unabhängigen Richter zustehen müsse (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT II, § 14 N 80; Trechsel, Kurzkommentar StGB, Art. 58 N 21; Schultz, in: ZBJV 114 1978, S. 309; Schwander, Das schweizerische Strafgesetzbuch, N 458; Böhler, Die Einziehung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1945, S. 108; Gaillard, in: SJK 73, S. 35; Hauser, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 198; Schmid, Strafprozessrecht, S. 210f., mit Hinweis auf WBA 43.15).

4. Diese Praxis und Doktrin steht in Einklang mit der Systematik und dem Wortlaut des Gesetzes. Einziehung und Verfall sind endgültige, materiellrechtliche Anordnungen des Bundesstrafrechts. Sie werden nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Art. 58ff. StGB vom «Richter» verfügt. Systematisch sind diese Bestimmungen unter dem Titel «Strafen, sichernde und andere Massnahmen» eingeordnet, wo der Richter im Gegensatz zu den Vollzugsorganen steht, die allgemein als «zuständige Behörde» bezeichnet werden (z.B. Art. 37 Ziff. 2 al. 3 StGB). Seine Stellung kann demzufolge keine andere sein als z.B. diejenige des Richters, welcher nach Art. 41 Ziff. 3 StGB über Verwarnung, Verlängerung der Probezeit und Widerruf des bedingten Strafvollzuges zu entscheiden hat. Hier wie dort ruft der materielle Urteilscharakter des Entscheides nach einem Verfahren, das weitgehend und namentlich hinsichtlich der Parteirechte und des rechtlichen Gehörs dem ordentlichen Strafverfahren nachgebildet ist (vgl. ZR 84 1985, S. 294). Dass dies bei den Anordnungen nach Art. 41 Ziff. 3 StGB der Fall ist, wo ausschliesslich der Sachrichter entscheidet, gilt allgemein als anerkannt (vgl. Stratenwerth, a.a.O., § 4 N 143) und wurde vom Bundesgericht ausdrücklich auch für die Einziehung und den Verfall nach Art. 58ff. StGB bestätigt (BGE 108 IV 157).

5. Auf den vorliegend zu beurteilenden Fall übertragen, bedeutet dies, dass der Untersuchungsrichter in Übertretungsfällen zwar zuständig zur Anordnung einer selbständigen Einziehung ist, dass die Anfechtung dieses Entscheides aber nicht auf dem administrativen Beschwerdeweg, sondern auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg über den Sachrichter zu erfolgen hat. Der Betroffene kann gegen eine entsprechende Einziehungsverfügung demnach Einsprache nach § 111 StPO erheben, und der Untersuchungsrichter hat, wenn er an der Einziehung festhält, einen entsprechenden Antrag beim Einzelrichter einzureichen (§ 112 Abs. 3 StPO). Die Antragstellung ist dabei mit der Anklageerhebung vergleichbar und muss, mit den gebotenen Einschränkungen, den Erfordernissen einer Anklageschrift genügen. Die Lücke in § 111 StPO ist entsprechend zu schliessen, indem neben dem «Bestraften» auch dem von einer Einziehungsverfügung «Betroffenen» die Einsprache zur Verfügung steht.

6. Diesem Ergebnis steht auch der Wortlaut von § 140 StPO nicht entgegen, wonach die Beschwerde u.a. zulässig ist beim Staatsanwalt gegen Amtshandlungen, Verfügungen und Beschlüsse der Untersuchungsbehörde. Denn nach Abs. 2 ist die Beschwerde ausdrücklich ausgeschlossen, wenn ein anderer Rechtsbehelf zur Verfügung steht (§ 140 Abs. 2 StPO). Einen solchen Rechtsbehelf stellt die Einsprache nach § 111 StPO dar. Die Beschwerde ist zwar ein ordentliches, vollkommenes und devolutives Rechtsmittel. Trotzdem besteht die Funktion dieses Rechtsmittels in der Hauptsache lediglich darin, korrigierend in den Ablauf des Strafverfahrens einzugreifen. Gegenstand bildet in der Regel nicht die Sache selbst, sondern das Verhalten von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten der ersten Instanz (Hauser, a.a.O., S. 283; Schmid, a.a.O., S. 272, insbes. den Katalog der Rekursgründe in Rz 996ff.). Beschwerdeinstanz ist denn auch immer die nächste Aufsichtsbehörde, was den administrativen Charakter der Beschwerde unterstreicht. Dies gilt auch gegenüber Erledigungsverfügungen, z.B. bei der Nichteröffnung oder Einstellung von Strafverfahren nach §§ 60 und 70 StPO, wo nicht die Sache selbst zur Beurteilung steht, sondern die Rechtmässigkeit des Verhaltens der Untersuchungsbehörden, das Strafverfahren nicht an die Hand zu nehmen resp. weiterzuführen. Demgegenüber betrifft die Einziehung eine materielle strafrechtliche Sanktion, deren Überprüfung auf dem ordentlichen Rechtsweg über den Sachrichter zu erfolgen hat.

7. Schlussendlich ist festzustellen, dass die selbständige Einziehung für den Betroffenen eine einschneidende Massnahme darstellen kann, wie der vorliegende Fall zeigt. Je stärker und repressiver aber ein Eingriff ist, um so eher fällt er in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK, der die Beurteilung durch eine unabhängige, unparteiische Instanz verlangt
(vgl. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, N 390ff.). Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint es jedenfalls als fraglich, ob ein selbständiger Entscheid des Untersuchungsrichters, der nur mittels Beschwerde beim Staatsanwalt angefochten werden könnte, der Konvention zu genügen vermöchte (vgl. BGE 108 IV 158; ZR 82 1983, S. 178).

(Beschluss vom 8. Februar 1995; KG 468/94 RK 2).

 

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Strafprozessrecht

– Durchsuchung, Beschlagnahme und Siegelung.

Aus den Erwägungen:

Nach § 42 Abs. 1 StPO sind Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, zu beschlagnahmen. Handelt es sich um Schriftstücke, so ist nach § 40 Abs. 1 StPO dem Inhaber Gelegenheit zu geben, sich vor der Durchsuchung über den Inhalt auszusprechen. «Erhebt er gegen die Durchsuchung Einsprache, werden die Schriftstücke versiegelt und verwahrt. In diesem Fall entscheidet bis zur Anklage der Kantonsgerichtspräsident, im Hauptverfahren das Gericht, ob die Durchsuchung zulässig ist.»

Systematisch ist die Siegelung bei der «Durchsuchung» geregelt, woraus abgeleitet werden könnte, die Siegelung richte sich gegen die Hausdurchsuchung als solche. Dies trifft indessen nicht zu. Gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl ist einzig die Beschwerde an den Staatsanwalt gegeben, von welcher Möglichkeit Z. in concreto auch Gebrauch gemacht hat. Eine Einsprache gegen die Hausdurchsuchung als solche ist entgegen dem verfänglichen Wortlaut von § 40 Abs. 1 StPO nicht gegeben. Die Siegelung von Schriftstücken, wie sie in § 40 Abs. 1 StPO vorgesehen ist, setzt verfahrenstechnisch erst in jenem Zeitpunkt ein, da einzelne Schriftstücke ins Verfahren gezogen und beschlagnahmt werden. Das Bundesgericht führte in diesem Zusammenhang zum analogen Art. 50 VStrR aus (BGE 106 IV 423 E. 7b):

«Müssen bei einer Hausdurchsuchung Papiere als Beweismittel beschlagnahmt werden, so ist nicht zu umgehen, dass sie kurz gesichtet und summarisch geprüft werden. Nur so kann festgestellt werden, welche Akten mit Beschlag zu belegen und allenfalls zu versiegeln sind. Wäre den Beamten jede Sichtung und Prüfung verwehrt, so wären sie, falls der Betroffene sich der Durchsuchung der Papiere widersetzt, gezwungen, alles mit Beschlag zu belegen, was sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Dies widerspräche sowohl dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit wie auch dem Interesse des Betroffenen, seinen Betrieb möglichst ungestört weiterführen zu können.»

Wie aus dem Durchsuchungsprotokoll, welches dem Kantonsgerichtspräsidenten (erst) unter dem heutigen Datum eingereicht worden ist, hervorgeht, wurden an der Hausdurchsuchung weder Gegenstände noch Schriftstücke beschlagnahmt, sondern lediglich die Büro- und Kellerräume des Z. versiegelt. Gleiches ergibt sich aus dem Entsiegelungsbegehren, wonach sich eine Beschlagnahmung «aufdrängt», also erst noch bevorsteht. Die eigentliche Durchsuchung und Beschlagnahmung steht indessen nicht in der Kompetenz des Kantonsgerichtspräsidenten, sondern jener der Strafverfolgungsbehörden (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, S. 204 Rz 736). Der Kantonsgerichtspräsident hat im Entsiegelungsverfahren denn auch keine umfassende Kenntnis vom jeweiligen Stand der Ermittlungen und kann deshalb auch nicht oder jedenfalls nicht zuverlässig beurteilen, ob und inwiefern der Inhalt von Schriftstücken beweistauglich im Sinne von § 42 StPO sein kann (vgl. BGE 101 IV 366). Daraus ergibt sich, dass, bevor eine Siegelung vorgenommen wird, bestimmte Schriftstücke von den Untersuchungsbehörden beschlagnahmt werden müssen. Erst wenn sich der Inhaber der Papiere der Beschlagnahmung dieser Schriftstücke widersetzt, greift das Siegelungsverfahren ein, indem der Rechtsschutz des Betroffenen verbessert und ihm die Möglichkeit gegeben wird, sich gegen Eingriffe der gerichtlichen Polizei und der Untersuchungsbehörden in seine Privatsphäre bei einer unabhängigen richterlichen Instanz zu wehren. § 40 Abs. 1 StPO statuiert demnach kein Rechtsmittel, kein Einspruchsrecht des Inhabers der Schriftstücke bei einer oberen Instanz, sondern richtet sich an den Untersuchungsrichter, der angewiesen wird, bei Einspruch gegen eine Beschlagnahmung den Entscheid des Kantonsgerichtspräsidenten bzw. des sich mit der Sache befassenden Gerichtes einzuholen, um die beschlagnahmten Schriftstücke definitiv dem Strafverfahren zugänglich zu machen (KG 218/77 GP vom 28.3.1979 i.S. BA M. ca. W. & Cons.). Bis zur Bewilligung der Entsiegelung besteht ein Verwertungsverbot (Schmid, a.a.O., Rz 736).

(Verfügung vom 28. Juni 1994; KG 244/94 GP).

 

39

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Wiedereröffnung eines Konkurses: Rechtsmittelfrist.

Aus den Erwägungen:

Anfechtungsgegenstand bildet die Verfügung des Einzelrichters des Bezirkes X. vom … . Der Einzelrichter hat die Eingabe als Gesuch um Wiedereröffnung des Konkurses erachtet und das Begehren wegen fehlender Behauptung neuen Vermögens abgewiesen. Nach Lehre und Rechtsprechung ist eine Wiedereröffnung eines nach Art. 230 SchKG mangels Aktiven eingestellten Konkursverfahrens trotz fehlender gesetzlicher Regelung dann zuzulassen, wenn nachträglich, d.h. nach Schluss des Konkursverfahrens neue Aktiven des Gemeinschuldners entdeckt werden. Es handelt sich hiebei nicht um einen Nachkonkurs im Sinne von Art. 269 SchKG, in welchem ohne weitere Förmlichkeit die Verwertung und Erlösverteilung der neu entdeckten Vermögensgegenstände an die zu Verlust gekommenen Gläubiger durch das Konkursamt vorgenommen wird, sondern um eine eigentliche, erneute Beschlussfassung des Konkursgerichts über die Konkurseröffnung (Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 45 RZ 8, § 54 RZ 13; Kommentar Jäger zum SchKG, N 1 zu Art. 230; Blumenstein, Schuldbetreibungsrecht, S. 744; Walder, Der Nachkonkurs, in: BlSchKG 1981, S. 2; BGE 53 III 193, 87 III 78 und 90 II 254; ZR 1977, Nr. 30).

Stellt nach dem Gesagten der Entscheid des Konkursrichters über die Wiedereröffnung eines nach Art. 230 SchKG eingestellten Konkurses eine eigentliche Konkurserkenntnis dar, ist hiegegen in analoger Anwendung von Art. 174 SchKG das Rechtsmittel der «Berufung binnen zehn Tagen bei der oberen Gerichtsinstanz» zulässig. Die Berufung nach Art. 174 SchKG ist im Kanton Schwyz als Rekurs gemäss § 203ff. ZPO ausgestaltet, wobei die bundesrechtliche Rechtsmittelfrist von zehn Tagen und nicht die ordentliche Rekursfrist von zwanzig Tagen gilt (§ 10 Ziff. 5 EVzSchKG).

(Beschluss vom 6. September 1994; KG 235/94 RK 2).

 

40

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Eine Sicherstellungsverfügung nach § 102 StG ist kein Arrestgrund.

Aus den Erwägungen:

Die Rekurrentin macht geltend, der Vorderrichter habe übersehen, dass mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) am 1. Januar 1993 die Kantone ermächtigt worden seien, Sicherstellungsverfügungen der zuständigen kantonalen Steuerbehörden den Arrestbefehlen nach Art. 274 SchKG gleichzustellen. Somit erweise sich BGE 108 III 105ff. als überholt.

Der kantonale Gesetzgeber hat von der Ermächtigungsnorm gemäss Art. 78 StHG bis heute keinen Gebrauch gemacht. Selbst im Rahmen der Teilrevision des Steuergesetzes vom 23. Februar 1994, welche allerdings erst am 1. Januar 1995 in Kraft tritt, wurde eine entsprechende Anpassung von § 102 StG nicht vorgenommen. Ohnehin wäre nach der Regelung im StHG eine Sicherstellungsverfügung der zuständigen kantonalen Steuerbehörde dem Arrestbefehl nach Art. 274 SchKG gleichgestellt, was bedeutet, dass ein Befehl, der nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zuständigen Arrestbehörde gar nicht nötig wäre (vgl. dazu auch Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 56 RZ 21 und 22; vgl. auch Art. 119 BdBSt).

Infolge des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann, wie der Einzelrichter zu Recht erwogen hat, eine Sicherstellungsverfügung im Sinne von § 102 StG für sich allein keinen Arrestgrund bilden (vgl. zur bundesgerichtlichen Praxis neben BGE 108 III 105ff. auch BGE 115 III 1ff., insbes. S. 5, 2. Absatz). Das hindert allerdings nicht, dass in der Sicherstellungsverfügung selbst das Vorhandensein eines Arrestgrundes glaubhaft gemacht wird. Ist dies der Fall, und sind die übrigen Voraussetzungen gegeben, so hat der Einzelrichter als Arrestbehörde den Befehl zu erlassen. Einen solchen Arrestgrund hat nun aber die Gesuchstellerin, wie der Einzelrichter zu Recht befand, nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ergibt sich ein solcher auch nicht in genügender Weise aus der der Arrestbehörde vorgelegten Sicherstellungsverfügung. Mit der entsprechenden Erwägung 4 der Vorinstanz setzt sich denn auch die Rekurrentin nicht auseinander und tut nicht dar, dass ein Arrestgrund im Sinne von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 1–5 SchKG vorliegt.

(Beschluss vom 2. September 1994; KG 261/94 RK 1).

 

41

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Geltendmachung der Nichtigkeit einer Kollokation.

Aus dem Sachverhalt:

Am 12.4.1992 verfügte das Konkursamt, dass eine Forderung des Z. von Fr. 531300.– im 5. Rang in den Kollokationsplan aufgenommen werde. Am 15.5.1992 publizierte das Konkursamt die Auflage des abgeänderten Kollokationsplanes. Am 31.8.1992 erhob M. beim Einzelrichter Kollokationsklage mit dem Begehren, es sei die Forderung des Z. im Kollokationsplan als unbegründet zu streichen. Mit Verfügung vom 23.4.1993 trat der Einzelrichter auf die Klage mangels Wahrung der zehntägigen Klagefrist nicht ein. Die Verfügung erwuchs in Rechtskraft.

Am 10.6.1993 erhob M. Beschwerde beim Einzelrichter als untere Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen mit dem Rechtsbegehren: «Es sei festzustellen, dass die Kollokation der Forderung von sFr. 531000.– von Z. nichtig ist. Das Konkursamt sei demgemäss anzuweisen, diese Forderung aus dem Kollokationsplan zu streichen.» Zur Begründung macht M. geltend, die Forderung des Z. stütze sich auf eine Vereinbarung, welche nach Eröffnung des Konkurses abgeschlossen worden sei. Solche Forderungen seien nichtig. Wenn ein nichtiger Erwerbstitel dem Konkursamt vorgelegt werde, müsse das Konkursamt von einer Kollokation absehen. Kolloziere es dennoch, sei die Kollokation nichtig.

Aus den Erwägungen:

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Frage, ob die kollozierte Forderung vor oder nach Konkurseröffnung entstanden ist, eine materiellrechtliche ist. Dementsprechend ist die Kollokationsverfügung der Konkursverwaltung, mit welcher die Forderung zugelassen wurde, mit Kollokationsklage anzufechten, geht es doch darum, die Zulassung eines anderen Gläubigers zu bestreiten (Art. 250 Abs. 2 SchKG). Der Einzelrichter im beschleunigten Verfahren kann nicht die Nichtigkeit einer Kollokationsverfügung feststellen und die Klage gutheissen, wenn mangels Einhaltung der Klagefrist auf die Klage nicht einzutreten ist. Sachlich zuständig für die Feststellung der Nichtigkeit einer Kollokationsverfügung ist vielmehr die Aufsichtsbehörde (BGE 118 III/4).

Nichtig ist eine Verfügung, welche wesentliche Verfahrensvorschriften, welche im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines unbestimmten Kreises Dritter aufgestellt werden und die zwingend sind, verletzt (BGE 96 III/77, 93 III/87 mit Hinweisen). Art. 204 Abs. 1 SchKG, auf welchen sich M. stützt, gehört nun nicht zu diesen Vorschriften, da nach Art. 204 Abs. 1 SchKG eine Rechtshandlung des Schuldners nach Konkurseröffnung nicht schlechthin gegenüber jedermann nichtig ist. Sie ist lediglich gegenüber den Konkursgläubigern ungültig (Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs, Band 2, § 40 N. 5f.). Auch die Kollokationsverfügung des Konkursamtes selbst berührt nur das Interesse der Konkursgläubiger (Forrer, Die Kollokationsklagen nach schweizerischem Recht, S. 21).

Selbst wenn also das Konkursamt eine Forderung, welche nach Konkurseröffnung entstanden ist, kolloziert hätte, so wäre diese Kollokationsverfügung keineswegs nichtig. Vielmehr könnte diese Kollokationsverfügung auf dem Wege der Kollokationsklage bzw. bei Verfahrensfehlern auf dem Weg der Beschwerde angefochten werden. In beiden Fällen gilt jedoch eine Frist von zehn Tagen seit öffentlicher Bekanntmachung der Auflage des Kollokationsplanes. Die nicht an eine Frist gebundene Anzeige wegen Nichtigkeit einer Verfügung kommt hingegen nicht zum Zuge. Da die zehntägige Frist in casu nicht gewahrt wurde, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

(Entscheid Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 4. Mai 1994, ER 180–5/93).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Ein Sperrkontoguthaben, auf das der Arrestschuldner noch keinen rechtlichen Anspruch hat, darf nicht mit Arrest belegt werden.   
– Die blosse Ankündigung des Wohnsitzwechsels ins Ausland bildet noch keinen Arrestgrund.

Aus dem Sachverhalt:

Treuhänder T. erhielt von V. einen Vermittlungsauftrag betreffend Verkauf einer Liegenschaft. Das Vermittlungshonorar ist gemäss Mäklervertrag fällig am Tage der öffentlichen Beurkundung des Kaufvertrages. Treuhänder T. als Vertreter von V. schloss mit Frau K. unterschriftlich einen Kaufvertrag ab. Der Vertrag wurde nicht öffentlich beurkundet. Frau K. überwies entsprechend diesem «Kaufvertrag» bzw. dieser Kaufzusage als Anzahlung einen Betrag von Fr. 100000.– auf ein Sperrkonto bei der Bank B.

T. verlangt Verarrestierung von Fr. 37109.– (3% seines Vermittlungshonorars) und bezeichnet als Arrestobjekt das Guthaben des V. auf dem Sperrkonto. T. macht geltend, der Verkäufer V. habe erklärt, er werde seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen, und es bestehe Gefahr, dass V. mit dem Geld ins Ausland abreise.

Aus den Erwägungen:

Der Kaufvertrag zwischen V. und K. ist noch nicht öffentlich beurkundet. Er ist deshalb rechtlich unwirksam. Mangels Nachweises der öffentlichen Beurkundung ist in casu auch das Mäklerhonorar noch nicht geschuldet und nicht fällig. Es steht überhaupt noch nicht fest, ob der Kaufvertrag rechtsgültig abgeschlossen wird. Rechtlich besteht keine Pflicht zum Abschluss des Vertrages. Sollte der Kaufvertrag nicht öffentlich beurkundet werden, hätte K. nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung einen unbedingten Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung von Fr. 100000.–. Rechtlich gehört das Sperrkontoguthaben immer noch der Käuferin K. und nicht dem Verkäufer. V. hat (noch) keinen Rechtsanspruch auf den hinterlegten Betrag. Verarrestiert werden können nur Sachen oder Forderungen, welche dem Arrestschuldner gehören. Da zweifelsfrei (vorläufig) einzig Frau K. Gläubigerin des auf dem Sperrkonto hinterlegten Betrages ist, kann das Guthaben (noch) nicht verarrestiert werden.

Im weiteren hat Treuhänder T. das Bestehen eines Arrestgrundes auch nicht glaubhaft gemacht. Die blosse Ankündigung eines Wohnortwechsels ins Ausland bildet noch keinen Arrestgrund, weder im Sinne von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2, noch von Ziff. 4 SchKG. V. hat noch Wohnsitz in der Schweiz, und es ist auch nicht glaubhaft gemacht worden, dass er Anstalten zur Flucht trifft, noch dass er durch Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen sich der Erfüllung von Verbindlichkeiten entziehen möchte. (Verfügung Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 14. September 1994, ER 278–5/94).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Keine Rechtsöffnung trotz Bestätigung der Rechtskraft einer prov. Bussenverfügung.

Aus dem Sachverhalt:

Die Klägerschaft legt eine provisorische Bussenverfügung vom 13.5.1994 ins Recht. Auf der Rückseite der Verfügung findet sich der Passus: «Diese prov. Bussenverfügung ist in Rechtskraft erwachsen, Rapperswil, 16.9.1994, Polizeikommission Rapperswil».

Der Beklagte beantragt Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens und macht geltend, gegen die provisorische Bussenverfügung sei Einsprache erhoben worden, und es sei darüber noch nicht entschieden worden. Die Klägerschaft reichte trotz Aufforderung keine Replik ein.

Aus den Erwägungen:

Der Beklagte hat eine Vorladung der Klägerschaft an ihn vom 3.6.1994 zu einer Einspracheverhandlung auf den 20.6.1994 vorgelegt. Dadurch ist erstellt, dass der Beklagte gegen die provisorische Verfügung Einsprache erhoben hat. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass entweder die Bussenverfügung noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, da der Einspracheentscheid noch nicht gefällt wurde, oder es liegt ein Einspracheentscheid vor, welchen die Klägerschaft jedoch nicht ins Recht gelegt hat. Jedenfalls kann die vorliegende provisorische Bussenverfügung nicht als definitiver Rechtsöffnungstitel dienen. Vielmehr wäre von der Klägerschaft zu erwarten gewesen, dass sie dargetan hätte, ob und wie ein Einspracheentscheid getroffen worden war.

(Entscheid Einzelrichter des Bezirksgerichtes Höfe vom 9. November 1994, ER 298–5/94).